Corona, Attila Hildmann und das Judentum: eine Umfrage von Veganer*innen für Veganer*innen

Screenshot: vegan.eu

In der „taz“ vom vergangenen Wochenende zitiert Arno Frank eine nicht repräsentative, anonyme Onlineumfrage des Internetportals vegan.eu,[1] die mit tendenziösen Fragestellungen zu dem Ergebnis kommt, Veganer*innen lehnten rechtes Gedankengut radikal ab (95 Prozent) und seien besonders unempfindlich gegenüber Verschwörungsnarrativen (87 Prozent). Auch die Mopo verzichtete in ihrer Berichterstattung auf eine Einordung.[2] Und die Galionsfigur des wissenschaftlichen Veganismus, Niko Rittenau, wertete die Umfrage sofort als eindeutigen Beweis dafür, dass Veganer*innen sich kaum bis gar nicht von Verschwörungserzählungen beeinflussen ließen und praktisch immun dagegen seien.[3]

Bei Umfragen ist allerdings sehr genau darauf zu achten, wer wem welche Fragen gestellt hat. Dass weder die Journalist*innen noch Rittenau dazu ein Wort verlieren, zeugt von mangelhafter Recherche. Vegan.eu ist mit der esoterischen Datingseite Gleichgklang.de verschwistert, beide sind Teil der Gleichklang Limited, also einer GmbH nicht unähnlich, allerdings mit sehr viel geringerem Mindeststartkapital. Guido Gebauer, Psychologe und Gründer der Datingseite, hat offenbar auch die Umfrage konzipiert und die Auswertung verschriftlicht.[4] Die Umfrage soll unter anderem eine Antwort auf die verschwörungsideologischen Auswüchse des Vegan-Kochs Attila Hildmann sein und belegen, dass eine überwältigende Mehrheit der Veganer*innen standfeste Demokrat*innen sind und es im Veganismus insgesamt praktisch kein Problem mit allgemeiner Menschenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus, Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus gebe.

3145 Veganer*innen hätten an der anonymen Internetumfrage teilgenommen. Sie wurden also nicht methodisch ausgewählt. Es gab vermutlich keine vorherige Testung (sogenannter Pretest) und keine Überarbeitung der Umfrage; jedenfalls liest man nichts dazu. Der Pretest gibt nach Schnell et al. Aufschluss darüber, ob die Antwortmöglichkeiten ausreichend variieren, ob die Fragen verständlich formuliert sind, ob die Fragen zu schwierig sind, ob sie Interesse bei den Befragten auslösen, ob die Strukturierung sinnvoll und schlüssig ist, ob der sogenannte „Fragereihenfolge-Effekt“ auftritt, ob die Filterführung funktioniert, ob der Fragebogen zu lang ist und einiges mehr.[5] Laut dem S-P-R-Modell der Sozialforschung läuft in der Interviewsituation ein dreigeteilter Prozess ab – Verstehen, Bewerten und Urteilen –, bevor es zu einer Antwort kommt.

Die Messverfahren zur Gewinnung empirischer Daten für die Umfrageforschung sind mit einem gesunden Maß an Skepsis und Kritik zu betrachten, ebenso wie die aus diesen erhobenen Daten abgeleiteten Statistiken und Interpretationen. Sie können allenfalls eine Annäherung an die Wirklichkeit darstellen, nicht aber die Wirklichkeit tatsächlich abbilden.

Das größte Problem bei der anonymen Onlinebefragung sind die eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten. Eine 35-jährige Frau, die ab und zu Käse isst, kann sich zum Beispiel als 18-jähriger Straight-Edge-Veganer ausgeben. Ein kurzer Test der Verfasserin dieses Textes bestätigt, dass eine Person problemlos mehrfach an der Umfrage hat teilnehmen können. Es brauchte hierzu lediglich verschiedene Browser.

Der Fragebogen von vegan.eu verschleiert kaum sein Erkenntnisinteresse, er enthält keine Fragen, die nichts mit dem eigentlichen Untersuchungsthema zu tun haben und dieses verdecken könnten. Weiterhin sind mehrere Fragen und Antworten so formuliert, dass die Befragten zur „richtigen“, sozial erwünschten Antwort geleitet werden. Die Person Attila Hildmann steht im Fokus des Fragebogens. Inzwischen dürften die meisten, die sich für Veganismus interessieren und nicht bereits selbst jeglicher Rationalität abgeschworen haben, mitbekommen haben, welche gefährlichen Inhalte Hildmann seit einigen Wochen verbreitet.[7] Sich davon abzugrenzen, dürfte vielen daher nicht schwerfallen. Personen mit einer ausgeprägten Affinität zu Verschwörungsgläubigkeit hingegen haben möglicherweise gar nicht erst teilgenommen oder die Bearbeitung des Fragebogens abgebrochen, da er sehr deutlich erkennen lässt, dass Verschwörungsnarrative keine Berechtigung haben sollen. Es gibt keine offenen, also frei zu beantwortenden Fragen ohne vorgegebene Auswahl von Antworten. In wenigen Fällen kann man eine eigene Antwort ergänzen. Man kann schließlich am Ende der Befragung einen Kommentar abgeben. Teilnehmer*innen werden zu Beginn der Umfrage von vegan.eu explizit darum gebeten, sie unter ihren Freund*innen und in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Dies könnte einer Verzerrung in Richtung einer bestimmten Gruppe Vorschub leisten, die dann überproportional vertreten ist (eher jüngere, eher internetaffine Menschen, die sich von rechten Tendenzen in der veganen Szene abgrenzen wollen oder diese leugnen und die Umfrage als Möglichkeit sehen, einen „Beweis“ für die von ihnen angenommene Weltoffenheit der veganen Ideologie zu erbringen). Qualitative Interviews haben anscheinend weder im Vorfeld stattgefunden noch sind sie für die Zukunft geplant.

Screenshot: vegan.eu

Der Fragebogen bietet keine Antwortmöglichkeit „Weiß nicht“, „Keine Meinung“ oder „Unentschieden“ an  (sogenannte „Non-Attitudes“) und zwingt damit zur Entscheidung. An einigen Stellen wird das Gebot der sprachlichen Neutralität verletzt. Etwa bei der Frage „Wie sehen Sie es?“, bei der es um den Zusammenhang von Tierhaltung und Covid-19 geht. Eine der drei abgefragten Thesen lautet „Corona ist eine Zoonose, also eine Erkrankung, die vom Tier auf den Menschen übergehen konnte wegen unserer Tierausbeutung. Auch um künftige Epidemien zu verhindern, ist eine Umstellung auf vegan notwendig“ (Hervorhebungen: ML; Antwortmöglichkeiten „Stimmt“ oder „Stimmt nicht“). Der Fragebogen ist hier sachlich ungenau – Corona ist keine Erkrankung, sondern ein Virus, genauer: SARS-CoV-2, das eine Atemwegserkrankung (Covid-19) auslösen kann. Schwerer wiegt jedoch, dass er an dieser Stelle suggestiv ist. Wer Veganer*innen fragt, ob „eine Umstellung auf vegan notwendig“ sei (um was auch immer zu erreichen), wird sehr wahrscheinlich eine zustimmende Antwort erhalten. Auch die Verwendung des Begriffs Tierausbeutung ist problematisch, denn er ist – insbesondere bei Veganer*innen – sehr negativ konnotiert und beeinflusst das Antwortverhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit. An dieser Frage wird zudem deutlich, dass der Fragebogen das wichtige Gebot der formalen Balance ignoriert, worunter zu verstehen ist, dass in der Frage bereits „alle – negativen und positiven – Antwortmöglichkeiten enthalten sein“[8] sollen. Die Frage müsste daher in drei einzelne Fragen aufgeteilt werden.

In der Auswertung schreibt Gebauer:

„Zehn […] Verschwörungstheorien waren von Anfang an in der Umfrage eingeschlossen, drei Verschwörungen (Islam, Juden, Homosexuelle und Gendertheorie) wurden erst später hinzugefügt, weil diese in den Medien als Verschwörungstheorie berichtet wurden (Juden) oder durch private Korrespondenz an den Verfasser herangetragen wurden (Islam, Homosexuelle und Gendertheorie). Insofern liegen zu zehn Verschwörungstheorien Antworten von 3145 Personen vor, während zu den drei später hinzugefügten Verschwörungstheorien lediglich Antworten von 2171 Personen vorliegen.“

Die Umfrage wurde also bereits während sie noch lief, angepasst. Das ist nicht egal und hätte besser im Vorfeld geklärt werden müssen. Dass man ausgerechnet die antisemitische Essenz jedes Verschwörungsnarrativs vergessen hatte, die in der „jüdischen Weltverschwörung“ gipfelt, lässt vermuten, dass das Wissen der Umfrageersteller*innen über die Herkunft und Funktionsweise von Verschwörungsideologien mangelhaft ist. Außerdem ist die klassische „jüdische Weltverschwörung“ ohne benannt zu sein bereits in dem Satz „Corona ist eine weltweite Verschwörung…“ enthalten.

Jedes einzelne Wort und auch die Reihenfolge der Antwortoptionen haben Gewicht. Die Bedeutung der Gesamtkomposition eines Fragebogens darf keinesfalls unterschätzt werden. Betrachtet man die Fragen und Antworten selbst, legen diese den Schluss nahe, dass sie wohl in der Voraussicht formuliert wurden, ein bestimmtes Ergebnis zu generieren. Etwa diese: „Wie bewerten Sie Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, wie die von Attila Hildmann in Berlin, bei denen Menschen keinen Abstand wahren und keinen Mundschutz tragen?“ Die Fragestellung legt nahe, dass es erwünscht sei, einen Mundschutz zu tragen und Abstand zu halten. Daraus folgt mit einiger Wahrscheinlichkeit eine erwünschte Antwort („Falsch“ oder „Unverantwortlich“).

Gehen wir näher auf die geänderte Frage nach der Zustimmung zu verschiedenen Narrativen im Zusammenhang mit der Corona-Krise ein: „Was halten Sie von folgenden Ansichten, die zur Corona-Krise vertreten werden – einige davon unter anderem von Attila Hildmann“ (Antwortmöglichkeit: „Stimmt“ oder „Stimmt nicht“):

  • Die Leute sterben gar nicht an Corona, sondern an den Medikamenten
  • Bill Gates will die Menschen zwangsimpfen und chippen lassen – darum geht die Sache
  • Corona ist eine harmlose Erkältung
  • Das Judentum steckt dahinter
  • In Wirklichkeit sind Impfstoffe schuld an dem Corona-Problem
  • Corona ist eine weltweite Verschwörung, um Menschen Angst zu machen, sie zu entrechten und sie zu kontrollieren
  • Das hat auch in Wirklichkeit alles mit dem Islam zu tun
  • „Nasen und Mundschutz sind das neue Hakenkreuz“
  • Corona geht von Außerirdischen aus
  • Corona dient dazu, um eine weltweite Diktatur einzurichten
  • Das hängt alles mit den Freimaurern oder mit den Bilderbergern zusammen
  • Corona wurde im Labor absichtlich erzeugt, um die Weltherrschaft zu erringen
  • Verschwörung von Homosexuellen und Gender Theorie gegen die natürliche Weltordnung

Eine Antwort sei herausgegriffen: Um einigermaßen belastbare Ergebnisse zu erhalten, scheint eine so platte Option wie „Das Judentum steckt dahinter“ nicht besonders geeignet. Nur die allerwenigsten Deutschen werden aus voller Kehle rufen: „Aber selbstverständlich, wer denn sonst?“ und die Frage mit „Stimmt“ beantworten, denn klassischer Antisemitismus ist in Deutschland seit 1945 überwiegend verpönt. Bei diesen vorgegebenen Antwortmöglichkeiten und bei einigen weiteren ist sehr wahrscheinlich mit einer Verzerrung durch sozial erwünschtes Antwortverhalten zu rechnen. Hinzu kommen die sogenannte Tendenz zur Mitte, also zur Zustimmung zu eher gemäßigten, liberalen Anschauungen, und die Akquieszenz. Darunter versteht man in der empirischen Sozialforschung eine inhaltsunabhängige Zustimmungstendenz von Befragten. Wird häufig nach dem gleichen Muster abgefragt (Stimmt / Stimmt nicht), kann sich diese Tendenz zusätzlich verstärken.

Es wäre zu untersuchen, ob das Ergebnis anders ausfiele, wenn man statt des Judentums etwa die Chiffre „das Finanzkapital“ oder „die Familie Rothschild“ hätte auswählen können. Doch auch das wäre vermutlich noch zu eindeutig mit „dem Judentum“ konnotiert und wenig aussagekräftig. Der milliardenschwere Investor und Philanthrop George Soros, dessen jüdische Herkunft und sein Reichtum die perfekte Mischung für zahlreiche Verschwörungserzählungen ergeben, hätte als Trigger möglicherweise funktionieren können. Doch so etwas muss man im Vorhinein testen. Wie diffizil die Entwicklung funktionierender Fragebögen gerade in Bezug auf Einstellungen zu Nazismus und Antisemitismus ist, haben bereits Theodor W. Adornos Studien zum autoritären Charakter oder auch Wolfgang Pohrts daran angelehnte Untersuchung Der Weg zur inneren Einheit über Elemente des Massenbewusstseins (BRD 1990) gezeigt. Solche Umfragen erfordern viel Vorbereitung, vorangehende Tests und stetige Nachbesserungen. „Rechtslastiges Denken“ will die vegan.eu-Umfrage lediglich an der Zustimmung oder Ablehnung der AfD festmachen. Das ist sehr mager und ein weiteres Beispiel dafür, dass die Untersuchung zu wenig durchdacht ist.

Potentielle Faschistinnen und Faschisten verstehen es zwar kaum, ihre wahren Einstellungen besonders gut zu verbergen, doch man muss schon mit Bedacht und einer bestimmten Fragetechnik vorgehen, um sie aufzuspüren. Einige Sätze aus der Untersuchung von Pohrt sollen dies verdeutlichen (sie alle sind irrational, in sich widersprüchlich bzw. behaupten Kausalitäten, wo keine sind. Pohrt ging davon aus, dass potentielle Faschistinnen und Faschisten ihnen prinzipiell zustimmen – gefragt war nach dem Grad der Zustimmung in sechs Abstufungen von starker Ablehnung bis zu starker Zustimmung und der Möglichkeit „unentschieden“ anzukreuzen; letzteres kam kaum vor). Pohrt führte zudem qualitative Interviews mit den Herren A., B. und C. durch, die im Wortlaut wiedergegeben sind, bis auf das mit Herrn C., der laut Pohrt keinen halbwegs verständlichen Satz zustande brachte und ein wenig an den damaligen Kanzler Kohl erinnere, „dessen politische Rhetorik durchaus avantgardistische Züge trägt, insofern sie sich um Syntax und Bedeutung im hergebrachten Sinn nicht mehr kümmert und wie der abstrakten, nicht-gegenständlichen Malerei oder dem absurden Theater nachgebildet erscheint“ (S. 119):

  • 6. Jeder Mensch braucht im Leben einen Halt, einen festen Glauben, an dem er niemals zweifelt.
  • 11. Wer ein Europa ohne Grenzen will, muss damit rechnen, dass dann auch das organisierte Verbrechen seinen Weg nach Deutschland findet.
  • 19. Die Ausländer hier machen sich manchmal unbeliebt, weil sie sich gegen die Deutschen abkapseln und nur mit ihren eigenen Landsleuten verkehren. (Freilich würde man heute eher „Migrant*innen“ statt „Ausländer“ schreiben und „Community“ statt „Landsleute“.)
  • 25. Eine der Hauptaufgaben für die nächsten Jahre wird es sein, die Bevölkerungslawine einzudämmen.
  • 37. Wenn jemand an UFOs, an die Seelenwanderung oder die Wiedergeburt glaubt, darf man ihn deshalb nicht verspotten.
  • 51. Die Öffentlichkeit erfährt oft wenig davon, was die wirklichen Drahtzieher hinter verschlossenen Türen planen.

Vor einer angeblichen Bevölkerungsexplosion hatte schon Bernhard Grzimek, der nette Fernsehonkel der Nation, 1956 in seinem Buch Kein Platz für wilde Tiere gewarnt. Dabei handelte und handelt es sich um einen Mythos, der stets dann bemüht wird, wenn es darum geht, dass gewisse Menschen an einem bestimmten Ort nicht sein sollen – verbunden mit dem meist unausgesprochenen Wunsch, sie mögen am besten ganz verschwinden, zum Heil der Natur und der Tiere in ihr. Unter Tierfreund*innen ist solches ökofaschistisches Gedankengut recht stark verbreitet. Stichworte sind etwa „Earth First“ und „Non-humans first“, ersteres eine Umweltbewegung aus den USA, letzteres ein Pamphlet der Tierrechtsorganisation 269life. Menschenfeindschaft wird hier wie dort verkleidet „als Sorge um die Zukunft der Menschheit“, wie Pohrt zusammenfasst (S. 257). Dem Satz mit der Nummer 25 stimmten „fast drei Viertel der Befragten (…) mehr oder minder stark“ zu. Dies soll als Einblick in die Forschung Pohrts zum Potenzial des Faschistoiden in der BRD nach 1990 genügen. Eine darauf aufbauende, freilich mindestens in den Formulierungen anzupassende Befragung der hiesigen Bevölkerung käme vermutlich zu ähnlichen, vielleicht sogar noch deutlicheren Ergebnissen.

Würde man glauben, was Menschen zu ihrer Ernährung befragt immer wieder angeben, nämlich dass sie ganz wenig Fleisch essen, und wenn, dann nur Hochwertiges vom Bauern ums Eck, wo die Hühner fröhlich im Hof herumgackern und nach Regenwürmern picken und die Kühe Namen statt Nummern tragen, friedlich auf der Weide grasen und ihre Kälber um sich haben, man könnte sich nur schwerlich erklären, wer dann das ganze Billigfleisch aus der industriellen Tierhaltung kauft, die für 98 Prozent der deutschen Fleischproduktion sorgt.[9]

Menschen stellen sich üblicherweise besser dar, als sie tatsächlich sind – umweltbewusst, obwohl sie regelmäßig Auto fahren, vegan lebend, obwohl sie Ausnahmen machen, wenn sie unterwegs sind. Das ist normal, aber das muss man wissen und in so einer Untersuchung berücksichtigen. Laut Gebauer habe man darauf geachtet, nur „echte“ Veganer*innen in das Ergebnis einzubeziehen.

Sebastian Grote, langjähriger kritischer Beobachter der veganen Szene, sagt zum Ergebnis der Umfrage und wie sie etwa vom Kreis um Rittenau aufgenommen wurde: „Im permanenten vehementen Abstreiten, dass es in der veganen Szene durchaus Probleme mit Rechtsradikalismus, Antisemitismus und anderen Formen von Menschenhass gibt, spiegelt sich auch das identitäre Verlangen, moralisch reiner, ethisch korrekter und irgendwie besser zu sein, oftmals sicher auch unbewusst.“ Grotes „persönliche Erfahrung sagt da etwas anderes, und um zu dieser Erkenntnis zu kommen, reicht ein Blick in die Kommentarspalten und auf Profile bei Facebook“.

Apropos Kommentarspalten: Auf der Facebook-Seite von vegan.eu melden sich einige zu Wort, die offenbar aus dem vermuteten Grund – sie erkannten, dass ihre Einstellungen von den Umfrageersteller*innen nicht ernst genommen und abgelehnt werden – nicht an der Umfrage teilgenommen bzw. diese abgebrochen haben. Unter ihnen Rolf S., der auf seiner Seite AfD-Inhalt teilt und Likes unter anderem an Wolfgang Wodarg, Thomas Röckemann (AfD), eine Xavier-Naidoo-Solidaritässeite, Thilo Sarrazin und Sahra Wagenknecht sowie Juden in der AfD vergeben hat. Eine gewisse Sympathie für Israel und das Judentum lässt sich aus einigen weiteren Likes schließen. Man kann vermuten, dass er Querfrontstrategien gegenüber nicht abgeneigt ist. Sein Kommentar: „Diese drei Themenkomplexe 1. Corona 2. Veganismus 3. Rechtslastigkeit wurden hier willkürlich in Juxtaposition gebracht und in Beziehung zueinander gesetzt. Einen sachlichen Grund dafür gibt es nicht, aber ein Motiv: Erpresste Anbiederei, Impfreklame, Bil-Gates-Schönreden, Corona-ad-infinitum.“ Rolf S. scheint bereits relativ tief in der Echokammer der Verschwörungsgläubigen gefangen zu sein.

Del O. gefallen KenFM, Attila Hildmann und jede Menge vegane Seiten. Sie schreibt, sie habe die Fragen zunächst ernsthaft beantworten wollen, habe dann allerdings abgebrochen, denn „[g]efühlt ging es letztlich nur noch darum, dass man hier versucht herauszufinden, ob Veganer alles sogenannte ‚Aluhutträger‘ und Verschwörungstheoretiker sind. Kritikfreudige Menschen werden mit diesen Fragen überspitzt dargestellt bzw. vollkommen lächerlich gemacht […]“. O. empört sich, dass es sich um eine „manipulative Umfrage“ handle, „die bereits eine vorgefertigte Meinung hat und damit mich als Veganerin in die Nazi-Aluhutträger-KremlSpion-und-nun-auch-noch-Veganer-Schublade steckt“.

Alfons M. bemängelt, dass es keine Möglichkeit gab, eine Frage, „falls man sie , aus welchen Gründen auch immer, nicht beantworten kann, dies auch kund zu tun. Und eine Entscheidung zu treffen, wenn man über ein Thema nicht informiert ist und dazu keine Meinung haben kann, geht gar nicht!“ Die Umfrage habe er nach einem Drittel abgebrochen. M. teilt Beiträge von Klagemauer.tv, freie-Medien.tv, Youtube-Videos mit Titeln wie „Corona – eine epidemische Massenhysterie“ und steht Impfungen vermutlich ablehnend gegenüber.

Hätte man eine Umfrage erstellt, die besser verschleiert, was sie herausfinden will, hätten Leute wie Rolf S., Del O. und Alfons M. vermutlich eher mitgemacht und das Ergebnis wäre ein ganz anderes gewesen. Wolfgang Pohrt kam Anfang der 1990er in seiner Untersuchung unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Zustimmung zu der Aussage, Tierquälerinnen sollten härter bestraft werden, da sie sich gegen unschuldige Wesen vergingen, sowie die Zustimmung zu der Aussage „Manchmal sind Tiere die besseren Menschen“ stark mit Sätzen korrelieren, die Pohrt zum „Zwang-, Neid- oder Strafsyndrom“ zählt (S. 250).

[Edit, 29.5.2020: Auf eine Presseanfrage vom Montag, 25. Mai 2020, in der ich vegan.eu nach dem exakten Wortlaut des gesamten Fragebogens ersuchte, erhielt ich bisher keine Antwort. Anscheinend wurden Randomisierungen und dynamische Fragenabhängigkeiten angewandt, wie Gebauer auf meinen Kommentar unter seiner Analyse schreibt. Das ändert nichts daran, dass die Formulierung der Fragen bzw. Thesen höchst problematisch ist und dazu geführt hat, dass Menschen, die sich selbst als vegan lebend bezeichnen und offenbar dem Verschwörungsdenken anhängen, die Umfrage abgebrochen haben, wodurch das Ergebnis verzerrt wurde. Den Umfrageersteller*innen werfe ich nicht Bösartigkeit vor (wie Gebauer unterstellt), sondern Blindheit gegenüber dem Ressentiment der eigenen Gruppe. Da die Umfrageersteller*innen mir den kompletten Fragebogen nicht zugänglich gemacht haben, hatten sich in die Analyse einige wenige Fehler bzw. Ungenauigkeiten eingeschlichen, die ich zwischenzeitlich bereinigt habe.]

[1] https://taz.de/Corona-und-Verschwoerungstheorie/!5684477/

[2] https://www.mopo.de/hamburg/vegan-koch-und-corona-verschwoerer-das-halten-veganer-wirklich-von-attila-hildmann-36727538?fbclid=IwAR06Q1bL7wmlh5JnWpe7UVG_wMaLLLeo96sNDXW1Tg9jMYxLO4bsZawudI0

[3] https://www.instagram.com/p/CAgGJRdKlNk/?igshid=yktx1ksj2nga&fbclid=IwAR1EhURYDabB0wh8rpoq0krKJAC8dtMYJaLcU9JB5mAIKdjQIfLm8kjPTAs

[4] https://www.vegan.eu/umfrage-veganer-lehnen-verschwoerungstheorie-und-rechtslastiges-denken-ab/

[5] Rainer Schnell / Paul B. Hill / Elke Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung, München / Wien 2005.

[7] https://www.facebook.com/AsiloHelpmann/

[8] Rainer Schnell / Paul B. Hill / Elke Esser: Methoden der empirischen Sozialforschung, München / Wien 2005 S. 335.

[9] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/tierwohl-und-fleischkauf-was-die-deutschen-sagen-und-was-sie-wirklich-kaufen/23939308.html