Pierronalisch!

Bild: Ullstein
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Angela Bajorek: Wer fast nichts braucht, hat alles. Janosch. Die Biographie (Ullstein, Berlin 2016, 320 Seiten, € 22,-)

Es war einmal ein Herr Janosch, der lebte auf einer fast ziemlich einsamen Insel und hieß früher ganz anders, Horst Eckert nämlich, und wohnte mal hier mal dort, gebürtig aus einem Niemandslandstrich, ein bisschen polnisch, ein bisschen deutsch, aber so richtig keins von beidem, und weil keins von beidem, weder der von den Eltern verordnete Name noch dieses Oberschlesien so richtig zum Vergnügtsein taugten, lebt er jetzt also in einer Hängematte auf dieser Insel (Teneriffa natürlich, aber das ist geheim).

Die Geschichte seines Lebens hat der Erfinder vom kleinen Tiger und seinem Freund, dem kleinen Bär und natürlich der Tigerente (obwohl, genau genommen, ist die geklaut, klar) in reichlicher und seltener Ausführlichkeit der Angela Bajorek erzählt, und die hat sie aufgeschrieben und das hier ist das Buch, das dabei herausgekommen ist. Schön! Frau Bajorek, die sich überlegt hatte, über den Herrn Janosch promovieren zu wollen, ist ein bisschen wie ein Vogel, die sind nämlich schlau, logisch, und haben den Überblick. Also die Frau Bajorek jedenfalls ist ganz viel rumgefahren (und ein bisschen wohl auch geflogen) und hat hier und dort gegraben (in Archiven und so) und dann, als sie einen guten Plan hatte (ein guter Plan ist ganz wichtig), hat sie diesen Janosch dazu gekriegt, selber in seinem Kopf weiterzugraben, ganz tief drinnen, wo die Erinnerungen sind, die schon fast nicht mehr wahr sind und zum Teil auch echt scheiße, ja.

Das Leben vom Horst Eckert begann an einem Tag im März 1931 in einem Blecheimer. Als er da erst mal raus war, wollte er ziemlich schnell entweder Räuber, Indianer oder Förster werden. Seine verkorksten Eltern wollten dann aber lieber, dass aus dem Erstgeborenen mal so ein steinreicher Unternehmer oder wenigstens ein Briefträger (weil: Beamter) wird, auf jeden Fall aber ein besonders gottesfürchterlicher Mensch sollte er werden. Und Prügel einstecken von morgens bis abends und von abends bis morgens hieß Vater und Mutter ehren; Schule und Kirche kamen als Schleifer vor dem Herrn hinzu. Schöner Herr das. Lebensgefährlicher Mist das, aber so war das bei den Katholiken, diesen Teufeln in Menschengestalt. Dann aber war Krieg, vor dem der körperlich schwache Horst sich fürchtete und den er mit kindlichem Unrechtsempfinden über diese ganze grausame Widerlichkeit hasste, und es wurde alles noch schlimmer – eine weitere Hölle. Später hat Janosch über das „Nationalbewusstsein“ gesagt, das ihm damals eingehämmert werden sollte, dass es „philosophisch gesehen Idiotie“ ist, denn: „Die Nationalität bekommt man durch Zufall, ungefragt aufgezwungen durch den Ort, wo man zufällig geboren wird. Darauf kann man nicht stolz sein.“ Hey Graffiti-Künstler da draußen: Sprayt das doch bitte an jede Hauswand in diesem verfluchten Land, weil es nämlich so wahr ist wie es wahrer nicht sein kann.

Danach wurde das Leben für den Jungen endlich besser (schlechter ging ja auch kaum noch, oder?). Er wird Textilzeichner und will Maler werden, sein großer Traum. Eine Station auf der Reise dorthin (denn so viel sei verraten, weil das sowieso kein Geheimnis ist: ein Maler ist er schließlich geworden) war die Akademie der Schönen Künste in München, zweimal abgelehnt „wegen fehlender Begabung“. Eigentlich meinten die Professoren wohl, wegen fehlender Bekleidung – Grund der Erregung war ein Akt (tsts, BRD, 50er Jahre, was hat er sich auch dabei gedacht?), ob er’s nicht etwas abstakter könnte. Der Maler hat sich aber so seine Gedanken gemacht: „Ich sollte auch abstrakt malen. Gegenstandslos. Es gibt nur wenige gegenstandslose Frauen. Nackte Frauen habe ich damals noch nicht abstrakt verstanden. (…) Ein Bild soll ja Freude bereiten, und nackte Frauen sind eine Freude.“ Wo er recht hat, hat er recht.

Irgendwann klappte es dann mit der ersten Veröffentlichung. Die „Zeit“ druckte eine Kurzgeschichte samt Zeichnung aus Janoschs Feder, auch „Süddeutsche“ und „Pardon“ wurden Abnehmer. Zum Leben reichte das alles freilich nicht, selbst für eine so bescheidene Person wie ihn. Wie das nun so geht im Leben, hatte Janosch Glück und fand in einem Unternehmer (Thorey der Name), für dessen Stoffdruckerei er arbeitete, einen Mäzen, der dem jungen Mann ein zumindest von Geldsorgen befreites Künstlerleben ermöglichte.

Es ist schon klar, nicht wahr, dass man sich dieses Buch dringend beschaffen sollte (am besten in einer richtigen Buchhandlung – das sind so Dinger mit Türen und Fenstern außen und Regalen und bedrucktem Papier in den Regalen innen), weil hier nämlich nicht so viel original daraus zitiert werden darf, wie man lustig ist (Verlage mögen das nicht so gern, von wegen dem Urheberrecht). Sehr, sehr lustig ist zum Beispiel die Geschichte, die da auf Seite 139 zu lesen ist und die beinahe total wie eine von Janoschs 1001 Lügengeschichten klingt. Aber gerade deshalb ist sie wahrscheinlich komplett genau wahr und exakt so passiert. Die Geschichte nämlich, wie Janosch Bekanntschaft mit seinem ersten Verleger (was der Herr Lentz war, mit tz am Ende) gemacht hat, der die geniale Erfindungsgabe Janoschs erkannte und sagte: „Was der im Kopf denkt, das ist so absurd, dass er das aufschreiben muss.“ Auch so ein feiner Vogel, der Herr Lentz, ein schlauer.

Nun ist das mit dem Aufschreiben so eine Sache beim Herrn Janosch. Über 40 Flaschen Gin soll er für seinen stark autobiographisch gefärbten Cholonek gebraucht haben – gut möglich, bei all dem Murks, den es da zu ertragen galt. Wenn dabei aber sowas rauskommt, bitte! Berühmt, bekannt, be- und geliebt ist der (aus gutem Grund!) menschen- und medienscheue Geschichtenerzähler aber ohne Zweifel für seine fantastischen Kinderbücher, die so anders waren als der autoritäre Schund, mit dem sich bis dato Eltern und Kinder herumplagen mussten. Welch ein Glück, dass genau alles so gekommen war, wie es das nun mal war, sonst gäbe es kein Schiff Pyjamahose, keine Tigerente (ja gut, bis ins Endlose verkitscht und bis auf den letzten Streifen ausgeschlachtet), kein Regenauto, keinen Onkel Popoff, keinen Doktor Brausefrosch und natürlich auch kein Sofa aus Plüsch. Und das wäre schlimm, ziemlich.

Aus dem kleinen Horst ist, wie wir wissen, schließlich doch noch etwas geworden, ein ganz großer Pierron nämlich, auch wenn seine Eltern sich das ganz anders gedacht hatten. Was der Herr Janosch außerdem noch so getrieben hat, was es mit der schönen Frau Ines und den Nudeln auf sich hat, warum Polen ein Heimwehland ist und den ganzen Rest hat wie gesagt die Frau Bajorek aufgeschrieben – Dank dafür. Und Dank an Herrn Janosch, dass er es ihr erzählt hat und wir es jetzt lesen dürfen. Und Dank an den Ullstein-Verlag für den vernünftigen Titel dieser Biographie, der sehr mottohaft für Janoschs Lebensanschauung steht.

Eine Geschichte gibt es noch, wie es nämlich dazu kam, dass ich zu diesem Buch gekommen bin. Mein Vater, was der Bruder meines Onkels und selber der Onkel meiner Cousinen ist, der jedenfalls heißt (nein, nicht Janosch und auch nicht Horst oder Eckert!) – Jürgen Landwehr. Er hat auch noch zwei andere Namen, weil man das früher so gemacht hat, aber die tun hier nichts zur Sache. Wichtiger ist, dass dieser Herr Landwehr zwei Eltern hatte (klar, hat ja jede*r, manche haben sogar mehr, was auch schön ist, hat man mehr Auswahl; außer es sind Prügeleltern, dann sind eher weniger besser) und als es so an der Zeit war, dass seine Mutti, was, logisch, meine Oma war, keine Lust mehr hatte, ihn im Bauch herumzuschleppen, da war der 11. März. 1951, muss man dazusagen. Und wann hat der Herr Janosch Geburtstag? Hm? Die Sache mit dem Blecheimer? Na, das war an einem 11. März, zwanzig Jahre früher, natürlich. Ungelogen. Nun gibt es in Hamburg ein ganz wunderbares Restaurant, Leaf, wie Blatt, nur englisch, wo man königlich speisen kann (für die veganen Mitleser*innen: unbedingt einen Tisch reservieren und heilmästen was das Zeug hält!) und wohin ich den Enkel meiner Urgroßmutter – meinen Papa also zu Geburtstagsspeis und -trank eingeladen hatte. Wir waren aber zu früh da und es war noch gar nicht auf, weswegen wir noch eine Runde um den Block gehen mussten (immer rechts herum, aber kein Bauer in Sicht, auch gut). Und just in der Bahrenfelder Straße Nummero 79 gibt es eine Buchhandlung, Th. Christiansen heißt die, und hat auch ein Schaufenster. Darin ausgestellt: Dieses jenes welches Buch! Noch dazu quasi das einzige Exemplar in der ganzen Buchhandlung, jawohl. Zum Geburtstag, toll! Wären wir nämlich nicht zu früh gewesen, und wären wir nicht hier einmal und da noch einmal abgebogen, wir hätten es nicht gefunden und ich hätte diese original genau so passierte Geschichte nicht erzählen können und da kann man mal wieder sehen, wie es so geht im Leben. Schön!

 

PS: „Pierron“ und „pierronalisch“ stehen nicht im Duden (klar), aber ein kleiner Tipp: Seite 216 hilft bei der Entschlüsselung. Und auch der Cholonek. Und dazu ein Glas Wein. Aber nur ein ganz kleines.

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