Krisenlektüre 6: »Tarzan und die Herrenrasse« von Norbert Bernhard

Bild: Lenos-Verlag

Norbert Bernhard: Tarzan und die Herrenrasse. Rassismus in der Literatur (Lenos-Verlag, Basel 1986, antiquarisch)

Obgleich sprachlich kein besonderer Wurf, punktet Norbert Bernhards Tarzan und die Herrenrasse vor allem durch die Vielzahl von Zitaten aus den Werken weißer Herren wie Karl May, Rudyard Kipling, Jules Verne, Edgar Wallace, Daniel Defoe und Edgar Rice Burroughs, aber auch Mark Twain und Charles Darwin, die deren kolonialrassistische Weltanschauung belegen.

„Es muss für alle Menschen offene Concurrenz bestehen, und es dürfen die Fähigsten nicht durch Gesetze oder Gebräuche daran verhindert werden, den größten Erfolg zu haben und die größte Zahl von Nachkommen aufzuziehen […] Das Aussterben [von Menschenrassen] ist hauptsächlich eine Folge der Concurrenz eines Stammes mit dem andern und einer Rasse mit der andern […] Wenn civilisierte Nationen mit Barbaren in Berührung kommen, so ist der Kampf kurz […]“, zitiert Bernhard etwa aus Darwins zweitem Hauptwerk Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl von 1871 (S. 238 f.). Der Begründer der Evolutionstheorie gehörte übrigens zu den ersten Impfgegnern, wie man dort ebenfalls liest: „Bei den Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt. […] Auf der anderen Seite tun wir zivilisierten Menschen alles nur Mögliche, um den Prozess der Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze, und unsere Ärzte strengen sich an, das Leben eines jeden bis zum letzten Moment zu erhalten. Es ist Grund vorhanden anzunehmen, dass die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Folge ihrer schwachen Konstitution früher den Pocken erlegen wären. […] Niemand […] wird daran zweifeln, dass dies für die Rasse des Menschen in höchstem Maße schädlich sein muss“ (Abstammung, S. 174).

So viel zum Rahmen, und dazu, dass Sozialdarwinismus tatsächlich einiges mit Darwins eigenem Blick auf den Menschen zu tun hat. Der Gedanke, dass „minderwertige“ Menschen eine Belastung darstellten und sie selbst bzw. ihr Erbgut mit mehr oder minder brutalen Mitteln aus der Gesellschaft entfernt werden sollten (von „freiwilliger“ Sterilisation bis hin zu Tötung), war im 19. Jahrhundert in allen „civilisierten“ Ländern des Westens und in allen Gesellschaftsschichten verbreitet. In Deutschland vertraten SPD und KPD Ansichten wie „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“.

Den Ethnologen Bernhard beschäftigt vor allem die Frage, wie sich rassistische Einstellungen in den literarischen Werken bei Burroughs, dem Erfinder der Figur Tarzan, und weiteren Autoren aus dem Genre Abenteuerroman widerspiegeln. Was nahezu alle der untersuchten Autoren eint: eine unübersehbare Faszination für die sogenannte Menschenfresserei. Das Motiv der kannibalistischen Wilden zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Geschichten. Die meisten von ihnen waren niemals selbst an den Schauplätzen ihrer fiktiven Storys, und diejenigen, die vor Ort waren, lieferten niemals Beweise oder Zeugen für ihre Behauptungen. Projizierten die Verfasser die Gräueltaten ihrer eigenen „Rasse“ auf die „Wilden“? Diente die angebliche Brutalität der Einheimischen dazu, die Verbrechen der Kolonialmächte zu legitimieren? Dass die Kolonialherren in den eroberten Ländern nicht eben zimperlich bei der „Civilisierung“ vorgingen, dürfte ihnen bekannt gewesen sein. Burroughs‘ Held Tarzan ist selbst ein Schlächter sondergleichen, der Schwarze beraubt und ermordet. Die Verbrechen seines Protagonisten legitimiert der Schriftsteller mit der angeblichen Niedertracht seiner „Feinde“. Über die Motive der Verfasser hätte man sich mehr Analyse von Bernhard gewünscht.

Eine Ausnahme bildet Mark Twain, der „nur“ die nordamerikanischen Indigenen nicht leiden konnte, ja nachgerade Hass gegen sie verspürte und sie als notorische Lügner und „Abschaum der Menschheit“ (The Noble Red Man, 1870) bezeichnete. Bernhard kann lediglich mutmaßen, woher dieser spezielle Hass rührte und vermutet eine persönliche Begegnung mit einem Indigenen, die Twain als sehr negativ empfunden haben müsse. Befriedigend ist das nicht.

Es sind vor allem die zahlreichen Zitate, die Bernhard gesammelt hat, die belegen, wie stark verinnerlicht der paternalistische und kolonialistische Blick zur Zeit von Burroughs, Verne und der anderen Schriftsteller auf andere, nicht-weiße Menschen war. Neben der angeblichen Menschenfresserei fällt immer wieder eines auf: Schwarze gelten als Tieren oder Kindern gleich, nicht als vollwertige Menschen, sie werden mitunter als besonders animalisch und körperlich beschrieben. Höhere geistige Fähigkeiten sprachen ihnen die westlichen Schriftsteller ab, denn ihnen ging es um Gruseleffekte, um Schrecken und Angstgefühle – auf Kosten der Schwarzen, die in den Romanen zudem meistens als anonyme, gefährliche, dunkle Masse vorkommen und nur selten als Individuen. Das Schreckgespenst vom bösen schwarzen Mann wirkt heute fort, und die Autoren des 19. Jahrhunderts haben einen nicht zu unterschätzenden Beitrag dazu geleistet, indem sie dieses Bild in zig Variationen reproduziert und dem kollektiven Gedächtnis eingeschrieben haben.