Kaltland

Aussagen nach der Art „An der Grippe und anderen Krankheiten sterben auch viele Menschen, das ist halt so“ scheinen mittlerweile standardisiert im Pandemiebewusstsein der Deutschen zu sein. Dieser Fatalismus, diese offenkundige Barbarei nicht nur zu akzeptieren, sondern zu verteidigen, erklärt sich zum Teil aus der Verrohung, die die kapitalistische Produktionsweise mit ihrem Verwertungszwang und ihrer Entfremdung erzeugt und die das Denken und Fühlen zerstört. Verletzlichkeit wendet sich in Aggression, reale wie irrationale Ängste gleichermaßen kanalisieren sich in rechten Parolen. Das Wissen um die eigene Verelendung kulminiert einzig in dem Wunsch, den anderen möge es noch viel elender ergehen.

Bei Twitter liest man unter dem Posting einer Schwiegermutter, die ihren 28-jährigen Schwiegersohn an das tödliche Virus verloren hat, neben ein wenig Mitgefühl vor allem eines: Rechthaberei von Emotionslosen, die per Ferndiagnose feststellen, dass der junge Mann niemals an Covid-19 gestorben sein könne. Für die Leben der 20.000 Toten interessiert Deutschland sich nicht. Deutschland interessiert sich für Shoppingangebote vor Weihnachten.

Soll man die Alten und „Vorerkrankten“ beschützen, oder soll man es lieber lassen? Das ist der Geist, der fordert, wer nicht arbeite, solle auch nicht essen (u. a. Franz Müntefering, SPD). Die Einteilung in Lebenswerte und Überflüssige ist traditionell in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen. Sie beginnt weit vor 1933 und ist nach 1945 keineswegs plötzlich verschwunden.

Es herrscht eine spezielle emotionale Kälte in diesem im Hass auf Schwache und Fremde vereinigten Land.