Krisenlektüre 1: »Der kleine Herr Tod« von Christian Y. Schmidt und Ulrike Haseloff

Der kleine Herr Tod
Bild: Rowohlt Berlin

Christian Y. Schmidt & Ulrike Haseloff: Der kleine Herr Tod (Rowohlt Berlin 2020, 144 Seiten, € 16)

Eigentlich wollte er Ende März in Berlin sein Buch vorstellen. Doch das neuartige pandemische Coronavirus, das die Lungenkrankheit Covid-19 auslöst, machte dem Autor Christian Y. Schmidt einen Strich durch die Rechnung. Nicht, dass er es nicht bereits geahnt hatte. Schmidt berichtete via Facebook früh aus seiner Wahlheimat Peking über den Umgang mit der Seuche und die Bekämpfungsmaßnahmen der chinesischen Regierung und überlegte lange, ob er die Reise nach Deutschland überhaupt antreten sollte. Er trat und traute seinen Augen nicht. Keine großartige Überprüfung bei der Einreise, keine Schutzmaßnahmen. Seine anfängliche Verwunderung über die Haltung der deutschen Behörden wechselte rasch zu Empörung und Wut, denn sie verdeutlicht einmal mehr den Primat wirtschaftlicher Interessen.

Der Journalist Schmidt berichtet auf seinem Facebook-Profil auch aus Deutschland weiter über Corona. Er hat die internationale Presse im Blick und trägt Informationen zusammen, die man in ein paar Wochen vielleicht auch im „Spiegel“ und anderen deutschen Leitmedien lesen wird. Von Deutschland spricht er inzwischen als „Failed State“. Man muss nicht alle von Schmidts Einschätzungen teilen, um den Wert seiner Arbeit anzuerkennen. Für so einige scheint ein Blick in die Timeline des Autors zur täglichen Routine geworden zu sein. Hier erfährt man das Wichtigste zur aktuellen Lage, in den Kommentaren finden teils sachliche, teils ruppige Diskussionen statt – China-Bashing und „West“-Bashing wechseln sich ab. Der German Überheblichkeit hat Schmidt den Kampf erklärt. Wer gewinnen wird? Ich würde nicht gegen das Kapital wetten wollen.

Um Kämpfe geht es auch in Schmidts neustem Roman über den kleinen Herrn Tod. Der ist zuständig für die Hühner, er muss sie „machen“ und in den Hühnerhimmel (die wenigsten) oder die Hühnerhölle (die meisten) bringen. Und weil so unfassbar viele Hühner jedes Jahr geschlachtet werden, kriegt der kleine Herr Tod Burnout. 650 Millionen allein in Deutschland. Jedes Jahr. Wahnsinn. Der kleine Herr Tod versucht es also mit Urlaub, was zunächst gehörig schiefgeht, weil er gar nicht weiß, wie man das macht. Nach einigen Querelen trifft er jedoch den Jungen Stephan, genannt Bengel. Der hat Krebs und ist von der Krebsstation geflüchtet, weil es da einfach nicht auszuhalten war. Die beiden entdecken, dass sie die größten Death-Metal-Fans sind und gründen spornstreichs eine Band. Dann passieren natürlich ein paar witzige Wendungen, eine verrückte Homöopathin spielt eine kurze Rolle und ein süßer kleiner Hund namens Zottel eine größere. Und nebenbei tauchen ein paar launige Anspielungen auf Mitglieder der linken Bubble auf. Charmant und lesenswert!

Illustriert ist der verrückte Erden- und Höllenritt von Ulrike Haseloff, und die Bilder können sich sehen lassen. Den deprimierten kleinen Herr Tod, den flauschigen Zottel und wie sie alle heißen, kann man sich auch an die Wand hängen. Die Buchpremiere fand dann übrigens im Livestream statt, und Schmidt hat angedroht, jede Woche ein weiteres Kapitel vorzutragen, bis die Seuche in Deutschland eingedämmt ist. Man darf demnach einige weitere Lesungen des „Orakels aus dem Morgenland“ erwarten, dieser „eindrucksvollen Mischung aus Grumpy Cat und einem chinesischen Faltenhund“, wie ihn Kollege Heiko Werning kürzlich in einem Lagebericht aus Austin, Texas nannte.

Das Buch mit (Wunsch-)Widmung erhält man direkt bei Boxoffice Berlin oder ohne bei der Buchhändlerin des Vertrauens.