Sucht man nach veganen Familien im Internet, spuckt die Suchmaschine als ersten Treffer Vegane-Familien.de aus, die die Ernährungsberaterin Carmen Hercegfi betreibt. Herzegfi macht derzeit eine Heilpraktikerinnenausbildung an der Fernschule Isolde Richter[i] und plant im Anschluss „systemische“ Arbeit und Familienaufstellung anzubieten, nach welcher Lehre konnte oder wollte sie auf Nachfrage nicht beantworten. Ihre „ganzheitliche“ vegane Ernährungsberatung ist ab 75 Euro pro Stunde zu haben; wer einen ganzen Beratungstag bucht, löhnt dafür 1.000 Euro. Für ihre Leistungen wirbt sie, ähnlich wie viele andere aus der Coaching-Branche, mit superbegeisterten Testimonials. Das ist zwar seit der Überarbeitung des Heilmittelwerbegesetzes 2012 nicht mehr verboten, einen seriösen Eindruck vermitteln die überschwänglichen und inhaltlich eher belanglosen Bewertungen jedoch nicht.
Die Mutter von zwei Söhnen glaubt so einiges, selbstverständlich auch an das Grundsatzdogma der Esoterik: „Wenn wir spirituell sind, haben wir es uns alles ausgesucht, was wir jetzt erleben, und es hat alles einen Sinn, was wir erleben.“[ii] Die üblichen Schlagwörter finden sich geballt auf ihrer Website: Verstrickungen, Blockaden, ganzheitlich, spirituelle Entwicklung. Sie deutet an, dass sie eine schwierige Kindheit hatte und Bindungsprobleme mit Männern habe. Sie glaubt, dass Globuli „die Geheimwaffe der Homöopathie“[iii] seien, dass der Körper sein Säure-Basen-Verhältnis nicht selbst regeln könne und man möglichst nur basische Lebensmittel (und basisches Wasser) zu sich nehmen sollte. Hierzu empfiehlt sie auf ihrer Website die Verwendung von hochpreisigen Wasserfiltern für „lebendiges Wasser“ und Heilsteine zur Mineralisierung.[iv] „Effektive Mikroorganismen“ würden eine Verbesserung der Darmtätigkeit bewirken, und Lebensmittelunverträglichkeiten pendelt die Ernährungsexpertin mit einem Tensor (eine Art einarmige Wünschelrute) aus.[v] Burn-Out führt sie auf einen Mikronährstoffmangel zurück. Kinder bräuchten nicht gegen Rotaviren geimpft zu werden, die mit der Infektion einhergehenden Durchfälle und die Dehydration seien nicht besorgniserregend, solange das Kind gestillt werde[vi] (man erinnere sich: An den Viren sterben jährlich 850.000 Kinder weltweit). Herzegfi hält es für das Beste, wenn Frauen mindestens ein Jahr lang, besser zweieinhalb Jahre stillen[vii], und sie ist überzeugt, dass die meisten Frauen keinerlei Probleme beim Stillen haben. Dass Frauen legitime Gründe haben können, nicht stillen zu wollen, kommt ihr gar nicht in den Sinn. Als Alternative zu Ritalin empfiehlt sie Leinöl zur Behandlung von ADHS bei Kindern. Ihre Theorie, dass das Auftragen von Sonnenschutzmitteln schädlicher sei als der Verzicht auf solche Mittel und dass die enthaltenen Stoffe krebserregend seien, verkündete sie während eines Workshops beim Veganen Sommerfest in Berlin 2018. Den Artikel auf ihrer Website zum Thema Vitamin D, in dem sie sich auch mit Pros und Contras für Sonnenschutzmittel beschäftigt, hat sie im September 2018 nach Protesten gegen ihre unbelegten Behauptungen zwar überarbeitet. Die Schutzwirkung müsse allerdings gegen die Krebsgefahr durch Sonnenstrahlung abgewogen werden, und diese sei, so suggeriert sie, zu vernachlässigen. Weiter fabuliert sie (mit Bezug auf die Heilpraktikerin Kyra Hoffmann), „dass es bei unseren frühen Vorfahren auch ohne Supplementierung ging“ – ja, das musste es wohl, denn die hatten schließlich keine Wahl. Wahrscheinlich ist, dass „unsere Vorfahren“ unter diversen Mangelerscheinungen etwa aufgrund von Nahrungsknappheit gelitten haben und ein recht kurzes, bisweilen unerfreuliches Leben mit Zahnschmerzen und ohne Aspirin hatten. Ihre Kinder lässt Mama Herzegfi offenbar weiterhin ohne Schutz in die Sonne, obwohl sie weiß, dass in hiesigen Breitengraden sowieso kein ausreichendes Vitamin-D-Depot aufgebaut werden kann und die meisten Menschen in Deutschland mindestens in den Wintermonaten supplementieren sollten. Immerhin rät sie in Schwangerschaft und Stillzeit dringend zu einer Bestimmung des Hormonwerts und gegebenenfalls Supplementen.[viii] Nach wie vor beruft sie sich insbesondere auf die fragwürdigen Erkenntnisse der Alternativmedizinerinnen Jörg Spitz und Kyra Hoffmann, die auf ihren Websites allerlei Hokuspokus anbieten. Beim Berliner Workshop erfuhr man außerdem, dass es unsinnig sei, schwarzafrikanische Kinder mit Sonnenschutzmittel einzucremen aufgrund des optischen Kontrasts und da dunkelhäutige Kinder sowieso schon weniger Vitamin D bilden würden als hellhäutige. Welcher weiße Medizinmann mag Frau Herzegfi bloß diesen Unsinn eingeflüstert haben? Man darf befürchten, dass sie, wenn sie mit ihrer Ausbildung fertig ist, Krebspatientinnen eine Vitamin-D-Therapie empfehlen wird, da sie überzeugt ist, das Hormon helfe gegen die Krankheit. Schlussendlich hält Herzegfi den rechten Esoteriker und Reinkarnationstherapeuten Ruediger Dahlke für eine seriöse Quelle.
Der zweite Treffer, den die Suchmaschine anbietet, ist die Seite Vamily.de, wo die dreifache Mutter Anna Maynert aus ihrem gemischt-vegan-vegetarischen Familienalltag berichtet. Für eine Ernährungsberatung nimmt sie 100 Euro pro Stunde. Maynert ist ausgebildete Ökotrophologin und Clean-Eating-Anhängerin (Nahrung müsse möglichst „natürlich“ und „ursprünglich“ sein, Fertigprodukte sind nicht erlaubt) und empfiehlt sogenannte Superfoods. Sie ist Detox-Anhängerin und wirbt für „Entgiftung überschüssiger Säuren“, sie glaubt, dass die Nährstoffdepots im Winter „leergefegt“ würden und dass „Entschlackung“ im Frühjahr notwendig sei. Gleichzeitig ist sie Botschafterin für Nahrungsergänzungsmittel eines Partnerunternehmens[ix], die natürlich kein Muss sind, aber auf keinen Fall beim Entschlacken fehlen sollten (merken Sie was?). Und sie ist – hier schließt sich der Kreis – ebenfalls Fan von Ruediger Dahlke, von dem sie die Information mitgenommen hat, dass in der Nahrung „Lebenswärme, Lebensfrische und Lebensenergie“[x] gespeichert wären (außer in Weizen – darin steckt nanogrammweise böses Gluten!), und Attila Hildmann findet sie ganz stark, denn der „hat es geschafft, der veganen Küche ein sympathisches Gesicht zu geben“[xi]. Weitere Informationen beschafft Maynert sich gern auf der Schwurbelseite „Zentrum der Gesundheit“, die sie für eine seriöse Quelle hält. Auf dem Pseudomedizinerinnentreffen VegMed 2018 (sprich: Wätschmeed) zeigt sie sich hellauf begeistert von der Begegnung mit Barbara Rütting, die sie einen „inspirierenden Menschen“[xii] nennt. Zu Rütting gibt es viel zu erzählen.[xiii] Hier sollen einige Stichworte genügen: Die 91-Jährige hat jede Menge Koch- und Lebenshilfebücher geschrieben, war Fernsehschauspielerin und Grünen-Abgeordnete in Bayern, jetzt macht sie Werbung für die V-Partei (die sich für die Anliegen von Veganern und Vegetarierinnen einsetzen will), deren Vorsitzender rechtes und antisemitisches Gedankengut eines seiner (inzwischen ehemaligen) Parteikollegen für Privatsache hält.[xiv] Rütting ist stolz, noch Gebete für Adolf Hitler aufsagen zu können und nennt Max Otto Bruker ihren „großen Lehrmeister“. Bruker war SA-Mitglied und hat sich nach 1945 in diversen Öko-NPD-Organisationen stark gemacht, Jutta Ditfurth nannte ihn eine „Scharnierstelle zwischen Ökologie- und Naturkostbewegung auf der einen Seite und Neonazi-Szene auf der anderen Seite“[xv]. Rütting bezeichnete Ditfurths Einschätzung als verleumderisch und verteidigte Bruker lautstark. Mitleid hat sie mit „KZ-Hühnern“[xvi], Menschen gegenüber ist sie ebenso antisozial eingestellt wie ihr Mentor. Beide sind sich einig, dass Menschen selbst schuld sind an ihren Krankheiten, soziale Ursachen für menschliches Leid sind ihnen unbekannt. Es verwundert nicht, dass sie gut befreundet ist mit Ruediger Dahlke, außerdem ist sie Anhängerin von Universelles Leben und diversen anderen Sekten.[xvii]
Herzegfi und Maynert arbeiten derzeit an einem gemeinsamen Buch über vegane Kinderernährung. Wenn sie es beim Posten und Verbreiten von veganen Rezepten, die auch Mäkelesserinnen überzeugen, beließen, wäre ja alles prima. Die beiden wollen natürlich nur das Beste für ihre Familien – sich und ihre Kinder gesund ernähren, Kleidung aus Biobaumwolle kaufen, Naturkosmetik statt Erdöl-Shampoo verwenden (was nette Ideale sind, die man sich aber erst mal leisten können muss). Und wahrscheinlich kennen sie sich tatsächlich sehr gut mit Kinderernährung und Bedarfsdeckung in Schwangerschaft und Stillzeit aus. Jedoch: Dabei fühlen sie sich überlegen über alles, was seit Jahrzehnten medizinischer Konsens und gut belegt ist. Sicherlich ist es sinnvoll, Althergebrachtes zu hinterfragen, ohne das gäbe es keinen Fortschritt, doch Medizinkritik erschöpft sich in diesen Kreisen üblicherweise in einer nahezu kompletten Ablehnung wissenschaftlicher Medizin. Ja, die macht Fehler, teils gravierende – Stichwort Contergan, und die Notwendigkeit, ihre Praktiken zu kritisieren, steht außer Frage. Doch das ist an dieser Stelle nicht Thema, und sie pauschal zu verunglimpfen und stattdessen jedem dahergelaufenen Alternativheiler seine Wahrheit nachzubeten, ist gefährlich und unverantwortlich, gerade wo es um Kinder geht, die (noch) nicht für sich selbst einschätzen und entscheiden können, welche Therapie die beste ist. Und so ist jeder Workshop, jeder Blog-Eintrag getränkt mit esoterischem Unsinn, der als Fachwissen verkauft wird. Dass sich dazwischen auch brauchbare Hinweise zu Ernährungsfragen finden, macht es nicht besser.
Schließlich geben die beiden Frauen ihr Wissen nicht umsonst und aus lauter Menschenfreundlichkeit und Aufklärungsdrang preis, sondern sie verlangen dafür einen Preis (was legitim ist), stellen es aber so dar, als würden sie das alles vollkommen uneigennützig machen und an Affiliate-Links und mit Produktempfehlungen eigentlich überhaupt nichts verdienen. Maynert bietet auf ihrer Website ganz offen Kooperationen für Unternehmen an, man kann sich bei ihr also Rezensionen kaufen. Wenn mir eine Firma einen 800-Euro-Mixer hinstellt, dann werde ich den wahrscheinlich nicht so beschissen finden. (Die Frage, ob der Mixer ihr gratis zur Verfügung gestellt worden ist, und ob das eine Auswirkung auf ihre Bewertung gehabt hat, wollte sie leider nicht beantworten. Mir wurde öfter schon vorgeworfen, dass ich die Leute ja gar nicht persönlich kenne und statt mit ihnen zu reden, immer nur über sie reden und schreiben würde, ihnen also gar nicht die Chance geben würde, sich zu erklären. Der Versuch, mit solchen Leuten zu reden, erweist sich in der Regel als Zeitverschwendung, weil sie nicht oder wenn doch, dann ausweichend auf kritische Fragen antworten. Frau Maynert hat mir jedenfalls nie geantwortet.
[i] Die Schule bietet außer den gängigen Heilpraktikerausbildungen so ziemlich alles an, was des Schwurblers Herz begehrt, von Numerologie über Schamanische Reisen bis zu (begleitender) Krebstherapie.
[ii] Carmen Herzegfi: „Über mich und ‚Vegan in anderen Umständen‘.“ 19.7.2018, https://soundcloud.com/carmen-hercegfi/001-uber-mich-und-vegan-in-anderen-umstanden, Minute 23:47, Stand: 29.12.2018.
[iii] Walter Mair: „Vegane Hausapotheke für Babys, Kinder und Schwangere.“ 13.6.2018, Gastbeitrag auf https://www.vegane-familien.de/naturheilkundliche-vegane-hausapotheke-fuer-babies-kinder-und-schwangere/, Stand: 29.12.2018.
[iv] Carmen Herzegfi: „Meine persönlichen Küchengerätetipps für dich.“ https://www.vegane-familien.de/wasserfilter/, Stand: 29.12.2018.
[v] Carmen Herzegfi: „Persönliches Coaching on- und offline.“ https://www.vegane-familien.de/ernaehrungsberatung/, Stand: 29.12.2018.
[vi] Anna Maynert: „Carmen Herzegfi im Interview. Teil 1.“ 23.5.2018, https://soundcloud.com/user-572858312/060-carmen-hercegfi-im-interview-teil-1, Minute 24:38, Stand: 29.12.2018. Herzegfi begründet ihre Entscheidung typisch „impfkritisch“ damit, dass das Impfen eine Strapaze für das kindliche Immunsystem sei. Das Robert-Koch-Institut präzisiert, dass moderne Impfstoffe hochgereinigt sind und weniger Antigene enthalten als früher, beim Keuchhusten-Impfstoff etwa nur noch 150 statt 3.000. Das Institut betont, dass das kindliche Immunsystem sich „tagtäglich mit einer vielfach größeren Menge von Antigenen auseinander(setzt), als dies bei Impfungen der Fall ist“. Vgl. Robert-Koch-Institut: „Antworten des Robert Koch-Instituts und des Paul-Ehrlich-Instituts zu den 20 häufigsten Einwänden gegen das Impfen.“ 2007, aktualisiert 22.4.2016, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Bedeutung/Schutzimpfungen_20_Einwaende.html, Stand: 29.12.2018.
[vii] Dann erst sei das „natürliche Abstillalter“ erreicht. Anna Maynert: „Carmen Herzegfi im Interview. Teil 1.“ 23.5.2018, https://soundcloud.com/user-572858312/060-carmen-hercegfi-im-interview-teil-1, Minute 24:18, Stand: 29.12.2018.
[viii] Vgl. Carmen Herzegfi: „Vitamin-D-Basics und Schwangerschaft.“ 2.12.2014, aktualisiert September 2018, https://www.vegane-familien.de/vitamin-d-fuer-alle-und-die-schwangeren/, Stand: 29.12.2018.
[ix] Anna Maynert: „Detoxen im Familienalltag.“ März 2018, https://www.vamily.de/detoxen-im-familienalltag/, Stand: 29.12.2018.
[x] Anna Maynert: „Die neue vegane Ernährung.“ 20.4.2015, https://www.vamily.de/das-geheimnis-der-lebensenergie-in-unserer-nahrung-von-ruediger-dahlke/, Stand: 19.11.2018.
[xi] Anna Maynert: „Vegan for Fun. Kochbuchvorstellung.“ 17.8.2011, https://www.vamily.de/vegan-for-fun-kochbuchvorstellung/, Stand: 19.11.2018.
[xii] Anna Maynert: „Ich habe schon so viele inspirierende Menschen getroffen.“ 21.4.2018, https://www.instagram.com/p/Bh1XWGLDnRP/?taken-by=vamily.de, Stand: 20.11.2018.
[xiii] Siehe ausführlich zur Person Rütting: Intersectional Vegan Research: „Barbara Rütting und die V-Partei.“ https://intersectionalveganresearch.noblogs.org/post/2017/07/07/v-partei/barbara-rutting-und-die-v-partei%C2%B3-esoterische-umtriebe-teil-1/, Stand: 29.12.2018. Siehe zu Rütting und insbesondere Bruker auch Jutta Ditfurth: Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Öko-)Faschismus und Biozentrismus, 4. Aufl. Hamburg 2011, S. 35-73.
[xiv] Indyvegan: „V-Partei-Vorsitzender Roland Wegner bezeichnet Verbreitung rechter Ideologien als ‚Privatsache‘.“ 13.9.2016, https://web.archive.org/web/20170915044658/http://indyvegan.org/v-partei-3-vorsitzender-roland-wegner-bezeichnet-verbreitung-rechter-ideologien-als-privatsache/, Stand: 29.12.2018.
[xv] Ditfurth (2011), S. 51.
[xvi] Zitiert nach: ebd., S. 69.
[xvii] Vgl. Intersectional Vegan Research: „Barbara Rütting und die V-Partei.“ https://intersectionalveganresearch.noblogs.org/post/2017/07/07/v-partei/barbara-rutting-und-die-v-partei%C2%B3-esoterische-umtriebe-teil-1/, Stand: 29.12.2018.