Irvin D. Yalom: Das Spinoza-Problem. Aus dem Englischen von Liselotte Prugger. BTB, München 2012, € 22,99
Der amerikanische Psychotherapeut Irvin D. Yalom, in dessen literarischem Werk sich sowohl echte Fallgeschichten als auch fiktive Protagonistinnen und Protagonisten finden, geht unkonventionelle Wege. Im Roman Die rote Couch erkennt ein junger Psychoanalytiker die Notwendigkeit, für jeden Patienten seiner ganz individuellen Situation entsprechend eine eigene Therapie zu erfinden. Ethische Dilemmata sind programmiert, doch Yalom schafft das, was einen guten Therapeuten ausmacht: Er kann anderen – Patienten und Lesern – helfen, sich selbst besser zu verstehen, eigene Wünsche zu artikulieren, sich existentiellen Ängsten zu stellen. In der Therapiegeschichtensammlung Die Liebe und ihr Henker berichtet Yalom von den aufgewühlten Reaktionen auf die in einer therapeutischen Übung unablässig gestellte Frage: »Was willst du?« Hierbei kommen die »vier existentiellen Grundtatsachen in der Psychotherapie« besonders deutlich zum Vorschein: die Unausweichlichkeit des Todes; die Freiheit, die gleichzeitig Bürde ist, sein Leben nach dem eigenen Willen zu gestalten; die letztendliche Isolation des einzelnen und »das Fehlen eines erkennbaren Lebenssinns«.
Diese Grundtatsachen variiert Yalom auch in seinem neuen Roman. Er kreist um die Frage, was das sogenannte Spinoza-Problem der Nazis war, von dem in einem Bericht über die Tätigkeit des Einsatzstabes des Reichsleiters Rosenberg (ERR) die Rede ist. Dabei gelingt dem Autor eine spannende Verbindung der Lebenswege des niederländischen Philosophen und Pantheisten Bento (Baruch) Spinoza und des von diesem wider Willen faszinierten Nazi-Chefideologen Alfred Rosenberg. Ihnen zur Seite stellt er zwei fiktive Figuren, die helfen sollen, in die Psyche dieser beiden grundverschiedenen Menschen einzudringen, in den klaren Verstand des einen und den absoluten Wahn des anderen. Hierin und in der geistesgeschichtlichen Breite liegen die Stärke und der Reiz des Romans.
Das übrige Figurenensemble bleibt im Vergleich zu Yaloms früheren Werken allerdings blaß. Irgendwo stößt wohl auch der beste Psychologe an seine Grenzen. In einem Interview sagte der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer einmal, nahezu jede seiner Figuren sei ein Alter ego, in fast allen stecke ein Teil von ihm. Verständlich, daß er eine solche Annäherung bei Hitler, Göring und Kumpanen nicht leisten konnte.
zuerst veröffentlicht in »literatur konkret« 2012