Ware Tier

Bild: Universal Pictures Germany
Bild: Universal Pictures Germany

Ware Tier (Regie: Christian Rohde, Universal Pictures Germany 2007, 135 Minuten)

Schon vor Jahren hatte ich diese dreiteilige Dokumentation im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesehen. Die Bilder der federlosen, blutiggepickten Hühner, der Kühe, die mit ihren auf Turboleistung übergroß gezüchteten Eutern kaum noch laufen können und nach wenigen Jahren Dienst ausgemustert werden – und auch die stumme Welt der Fische, Tiere, die noch weniger Empathie als Säugetiere oder Vögel von uns zu erwarten haben, weil sie auf der Evolutionsleiter so viel weiter unter uns angesiedelt sind und weil sie keine schrillen Todesschreie ausstoßen können… All das schockierte mich damals, solche Bilder hatte ich zuvor noch nicht gesehen.

Mein damaliger Vegetarismus speiste sich aus einem etwas diffusen Gefühl des Mitleids: „niemand soll sterben, damit ich satt werde“; inklusive der absurden Rechtfertigung von Lederschuhen als Abfallprodukt der Fleischindustrie, Käse aus Kälberlab, aber immerhin ohne Gummibärchen und andere gelatinehaltige Produkte. Lange Jahre bis ins Erwachsenenalter habe ich mir selbst auf diese Weise etwas vorgemacht und relativ erfolgreich verdrängt, dass es den Tieren, die mir massenhaft Käse, Joghurt und Eier „lieferten“ auch nicht besonders gut gehen konnte.

Die Wende kam schließlich auf zwei Wegen – zum einen durch die Beschäftigung mit der Ernährung meines Katers, der nicht mehr das billige Aldi-Futter bekommen sollte, sondern nun einer Biofutterdiät unterzogen wurde. Dies war ein wichtiger Anstoß zu weiteren Überlegungen. Was ich meinem Kater da auf den Teller tat, führte schließlich zu der Frage, was denn überhaupt auf meinem eigenen Teller landete. Nach einem halben Jahr der Unentschlossenheit und des Biokäses sah ich mir noch einmal diese Dokumentation an. Es war neben den mitleiderregenden Bildern der Rinder vor allem die Szene, in der eine Gruppe Schweine aus einem engen Wartepferch „endlich“ zur Kohlendioxid-Betäubung und anschließenden Tötung geschleust wurde, die sich mir überdeutlich einprägte.

Insgesamt war mir nach dem neuerlichen Ansehen der drei Filme endlich klar: So geht es nicht weiter, vegetarisch reicht nicht. Die Eingrenzung auf die Ernährung habe ich auch über Bord geworfen, ich wollte mehr Konsequenz in mein Leben bringen und mich eingehender mit der Thematik auseinandersetzen. In den seither vergangenen Jahren habe ich mich kontinuierlich weiter informiert, Grenzen abgesteckt und hin und wieder verschoben, mich ausgetauscht, eine Zeitlang für einen Lebenshof gearbeitet, viele Menschen getroffen, und aus meiner Liebe für Kinderbücher und dem eklatanten Mangel an guten vegantauglichen Kinderbüchern ist schließlich dieses Blog entstanden.

Die Dokumentation

In der dreiteiligen Dokumentation gehen Regisseur Christian Rohde und sein Team auf die Suche nach glücklichen Nutztieren – Hühnern, Schweinen, Kühen und Fischen. Finden tun sie keine, nur unzählig viele eingesperrte Individuen sowie einige wenige, die das relative Glück haben, vor ihrem Tod immerhin etwas frische Luft, Gras und Sand spüren zu dürfen. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie Ware, Produkt sind und ihnen das elementarste aller Rechte, das Recht auf Leben, aberkannt wird. Das Erstaunliche an der Reihe ist, dass am Ende nicht das Standardsprüchlein vergleichbarer Produktionen aufgesagt wird, dass man seinen Fleischkonsum einschränken, auf die Herkunft und auf Biosiegel achten solle. Kein Wort davon. Am Schluss des ersten Teils sieht man ein während der Dreharbeiten aus einer Legebatterie befreites Huhn auf der Weide. Eines von Millionen, eines, das dem üblichen Ende als Suppenhuhn entgangen ist.

Im Folgenden habe ich einige Zahlen und Zusammenhänge aus der Reihe notiert. Derzeit findet man alle drei Teile in der Mediathek von Planet Schule, einem Gemeinschaftsprojekt für mediales Schulfernsehen von WDR und SWR (sollten die Links nicht mehr funktionieren, freue ich mich über einen Hinweis).

Auf der Suche nach dem glücklichen Huhn

– sieben Milliarden Eier werden pro Jahr in Deutschland verbraucht
– im Durchschnitt verspeist jede/r Deutsche pro Jahr 18,5 Kilogramm Hühnerfleisch, das sind für alle Deutschen 1,6 Millionen Tonnen pro Jahr
– 22 Masthühner teilen sich am Ende der ca. 30-tägigen Mastzeit einen Quadratmeter im Stall
– der Mäster erhält etwa 20 Cent pro Masttier
– in einem einzigen Schlachthof können 155.000 Tiere pro Tag geschlachtet werden
– in Deutschland leben 40 Millionen Legehennen
– seit 2007 heißt Käfighaltung Kleinvolierenhaltung
– „Die Tiere sind sehr glücklich, sonst würden wir die Leistung nicht haben“ (Ausspruch eines Käfigeier-Produzenten)

Auf der Suche nach munteren Kühen und Schweinen

– ein Zuchtbulle kann bis zu 115.000 Töchter haben
– Hochleistungskühe werden dreimal täglich gemolken, nach drei bis vier Jahren sind sie ausgelaugt und nicht mehr rentabel
– eine Hochleistungskuh gibt im Durschnitt 9.500 kg Milch pro Jahr
– Hochleistungskühe leiden häufig unter zuchtbedingten Krankheiten: Klauenentzündungen wegen der viel zu schweren Euter; Labmagenverdrehung aufgrund der Fütterung von nicht artgerechtem Futter (Kraftfutter aus Mais und Soja); Mastitis (Euterentzündung) aufgrund der unnatürlich hohen Milchproduktion
– ein Viertel aller Milchkühe wird wegen Mastitis vorzeitig geschlachtet
– Milchbauern erhalten 33 Cent für einen Liter Milch [jetziger Stand, Ende 2016: 25 Cent/Liter]
– in der größten Molkerei Norddeutschlands werden täglich 2,2 Millionen Liter Milch angeliefert
– fünf Lebensmittelkonzerne verkaufen in Deutschland rund 90 Prozent aller Milchprodukte
– in Deutschland leben 41,2 Millionen Schlachtschweine
– Ferkeln werden die Eckzähne abgekniffen, die Schwänze kupiert und die Hoden entfernt – ohne Betäubung [die betäubungslose Kastration soll ab 2019 in Deutschland verboten werden]
– in modernen Schlachthöfen werden 340 Schweine pro Stunde, 3.400 Schweine pro Tag geschlachtet
– Schweinemäster halten Metallketten für tiergerechtes Spielzeug, mit dem der Bewegungsdrang ausgelebt werden könne
– in 120 Tagen erreichen Mastschweine ihr Schlachtgewicht, sie nehmen jeden Tag etwa ein Kilogramm an Körpergewicht zu

Auf der Suche nach dem frischen Fisch

– Fische im Netz ersticken qualvoll oder werden von ihren Artgenossen erdrückt
– in Frankfurt am Main wird mehr Fisch gehandelt als in Bremerhaven, Wilhelmshaven und Hamburg zusammen, der Frankfurter Flughafen ist der größte Umschlagplatz für Fisch in Europa
– ein Drittel der weltweiten „Fischernte“ stammt aus Aquakultur
– Ziele bei Zuchtfisch aus Aquakultur sind: schnelleres Wachstum, höhere Reproduktionsraten, besseres Fleisch, letztlich: höhere Erträge – wie in der übrigen Nutztierindustrie auch
– für ein Kilogramm Zuchtlachs braucht man circa fünf Kilogramm Meeresfisch
– fünf Prozent der Fischprodukte von Unilever kommen aus bestandserhaltender Fischerei
– die Umsatzsteigerung bei Zuchtfisch beträgt acht Prozent jährlich
– Thunfische schwimmen bis zu 70 Kilometer pro Stunde
– handgeangelter Luxusfisch kostet 22,- Euro pro Kilo
– große Trawler fangen auf einer Fahrt 800 Tonnen Fisch
– ein Fischstäbchen-Produzent über sein Produkt: „Wir haben alle Probleme, die der Konsument mit Fisch hat, hier herausgenommen.“

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