
Mikrokosmos (Regie: Claude Nuridsany und Marie Pérennou, Arthaus 2005, 72 Minuten)
Nur wenige, ruhige Sätze werden zu Beginn des rund 70 Minuten langen Films gesprochen. Welch eine Wohltat für alle, die die aus den ewig gleichen Textbausteinen zusammengeschusterten Naturdokus satt sind, die vor Informationen bersten, die einen über die Höhe der Berge, die Tiefe der Meere, die Namen der Tiere, Bäume, Sträucher, Steine und – oh Graus! – „althergebrachte Traditionen“ der dort lebenden Menschen belehren. Auf all das wurde hier verzichtet – zum Glück! Für Bernard Leroux (Mixer) war klar: „Wenn man die Zuschauer mit Tiernamen überschüttet, bekommen sie vom Film nichts mehr mit“, und sein Kollege, der Tontechniker Laurent Quaglio, meint, „dass jede Art des Kommentars den Film nur blasser und konventioneller machen würde. Als müsste man dem Zuschauer alles erklären, was er sieht!“ Darin steckt eine berechtigte Frage: Muss man immer alles verstehen, was man sieht? Vielleicht kann man sich auch einfach nur daran erfreuen, was es alles zu sehen gibt.
Der Film besticht durch ein perfekt aufeinander abgestimmtes Zusammenspiel von Bild, Ton und Musik. Die Makroaufnahmen der Tiere sind fantastisch und man fragt sich mitunter, wie etwas so Filigranes wie eine Libelle überhaupt existieren kann. Im Anschluss lohnt es sich, das Making-of anzuschauen, um zu erfahren, wie dieses Kunstwerk entstanden ist und wie die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Technikern funktionierte.
Der Regisseur Claude Nuridsany ist Forscher und Biologe, doch so intensiv, so sehr auf Augenhöhe hat er sich zuvor wohl auch noch nicht mit den kleinen und kleinsten Krabbeltieren beschäftigt. Bei den Dreharbeiten gab es für viele Rollen mehrere Darsteller, da für das menschliche Auge ein Mistkäfer dem anderen gleicht. Doch während der Arbeit wurde Nuridsany um so klarer, dass sie alle „sehr individuell verschieden“ sind. Wir meinen, „sie seien identisch wie Zwillinge und damit austauschbar, aber sie unterscheiden sich – im Verhalten, im Charakter.“ Er nennt sie auch liebevoll „rührende Persönlichkeiten“. Und das ist es doch letztlich, worum es geht: Das Masthuhn mit den 30.000 anderen Leidensgenossen im Megastall, eine der unzähligen Katzen im Tierheim oder eine von tausenden Grillen auf einer Wiese in Südfrankreich – sie alle sind Individuen, sie alle haben ein ganz persönliches Interesse an ihrem Leben und sie alle gibt es nur ein einziges Mal.