Krisenlektüre 8: »Die Sprachreiniger« von Karl-Heinz Göttert

Karl-Heinz Göttert: Die Sprachreiniger Buchcover
Bild: Propyläen

Karl-Heinz Göttert: Die Sprachreiniger. Der Kampf gegen Fremdwörter und der deutsche Nationalismus (Propyläen, Berlin 2019, 368 Seiten, € 24,-)

„Früher war mehr Christkindleins Haar!“ Kennen Sie nicht, den urdeutschen Spruch? Dann sind Sie wohl der Verwelschung anheimgefallen und kennen sich in ihrer eigenen Muttersprache recht schlecht aus.

Der Sprachwissenschaftler Karl-Heinz Göttert zeichnet in seinem populärwissenschaftlichen Buch Die Sprachreiniger die Verbindung von völkischer Sprachkritik und Nationalismus vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nach.

In den 1880er Jahren gründeten einige Herren, die sich um die Reinheit der deutschen Sprache sorgten, den Allgemeinen deutschen Sprachverein. Sie erklärten dem „Krebsgeschwür“, der „Fremdwörterseuche“ den Krieg und hatten es insbesondere darauf abgesehen, sprachliche Einflüsse aus dem Land des Erbfeinds Frankreich zu eliminieren, den man 1871 endlich militärisch niedergerungen und mit der Reichsgründung in Versailles gedemütigt hatte. Der Kampf ging auf Sprachebene weiter. Zwanghaft suchte man nach deutschen Entsprechungen für die zahlreichen fremdsprachlichen Begriffe. Statt Fotografie sollte es Lichtbild heißen, das Telegramm wurde zum Drahtgruß, telefonieren hieß bei den Reinigern fernen, und statt Sauce wünschte man Beiguss oder Tunke zum Schnitzel. Das alles klappte mal schlecht, mal recht und zeitigte mitunter irrsinnige Auswüchse in Form ellenlanger Abhandlungen, die kein vernünftiger Mensch freiwillig zu lesen seine Zeit opfern würde. Unter anderem in der Rechtssprache haben sich viele Verdeutschungen erhalten. So spricht man auch heute von unlauterem Wettbewerb und nicht von illoyalem Wettbewerb.

Was die Bemühungen der deutschtümelnden Sprachputzer einte, war der Hass gegen alles, was ihnen ungleich erschien, auf alles Internationale und Kosmopolitische. Amüsanterweise strebten die Reiniger für den Begriff Nationalismus keine Verdeutschung an. Laut dem Romanisten und Literaturtheoretiker Leo Spitzer ging es nicht eigentlich um Fremdwörter, sondern um Feindwörter; Latein und Griechisch etwa hätten weniger im Fokus gestanden. Spitzer schrieb: „Die Fremdwörterverketzerung kommt den dunkelsten Instinkten des unwissenden Rohlings entgegen, der schlagen, dreinschlagen, totschlagen will – Menschen, Worte, was immer! Die Fremdwörterverketzerung gehört zur nationalen Verhetzung, zum Lügenkrieg – zum Krieg!“ (201)

Interessant ist die Tatsache, dass die Nazi-Größen nichts vom Fremdwortkrieg hielten. Sie benutzten die Sprache vor allem, um ihre Verbrechen zu verschleiern, wie der Sprachwissenschaftler Viktor Klemperer in seinem Werk LTI (die Abkürzung steht für lat. Lingua Tertii Imperii = Die Sprache des Dritten Reichs) herausgearbeitet hat.

Etwa ab 1938 wurden die Veröffentlichungen des Sprachvereins deutlich antisemitisch. Hatten sie den Hang des NS zu Abkürzungen zunächst den Juden in die Schuhe geschoben, rückten sie von solchen Positionen ab und klassifizierten Fremdwörter fortan als jüdisch. Mit der Zuspitzung des deutschen Vertreibungs- und Vernichtungskriegs wurde ab 1941 die Fremdwortjagd der Sprachreiniger zur Menschenjagd und „statt der Reinheit der Sprache stand die Reinheit der Rasse im Mittelpunkt – mit der Sprache als willkommenem Helfer“ (330).

Nach 1945 folgte das Übliche: baldige Fortsetzung der Arbeit der Sprachreiniger und Rehabilitierung der Hetzer. 1946/47 gründeten Mitglieder des während des Kriegs untergegangenen Sprachvereins die Gesellschaft für deutsche Sprache, die unter anderem jährlich das „Wort des Jahres“ wählt. Das alte Publikationsorgan erschien ab 1949 wieder – unter seinem alten Namen Muttersprache. Mitglieder, die eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Vorgängervereins und dessen Zeitschrift forderten, wurden entlassen. Und am 1. April 1986 feierte man frohgemut den 100. Geburtstag. Andere „Unbelastete“ fanden Arbeit beim renommierten Goethe-Institut. Hier wie überall im „entnazifizierten“ Deutschland: Kontinuität.

Götterts Buch liest sich flott und stellenweise amüsant, wenn er die absonderlichsten Sprachschöpfungen ausgräbt. Seine ironischen Kommentare allerdings nerven. Den Witz, der in den absurden Verdeutschungsbemühungen steckt, erkennt man auch ohne launige Erläuterung. Die zahlreichen Auszüge aus den Schriften der Sprachreiniger machen deutlich, wie gefährlich das Bildungsbürgertum ist, das sich viel zu viel auf seine Dichter und Denker einbildet.

Was Göttert nicht erläutert, ist die Herkunft der sogenannten Verwelschung. Das Herkunftswörterbuch des Duden notiert zum Stichwort welsch:

Das altgerm. Adjektiv mhd. walhisch, welsch, ahd. wal[a]hisc „romanisch“, niederl. Waals „wallonisch“, engl. Welsh „walisisch“, schwed. välsk „romanisch“ geht auf ein germ. Substantiv zurück, das ursprünglich die keltischen Bewohner westeuropäischer Gebiete bezeichnete und dem der keltische Stammesname lat. Volcae zugrunde liegt. […] Mit „welsch“ verwandt ist auch Wallach und das erste Glied der Zusammensetzung Walnuss. In der Bezeichnung der Gaunersprache Rotwelsch bedeutet „-welsch“ so viel wie „fremde, unverständliche Sprache“.

Sehr viel klüger ist man nach den Herleitungen in diesem Wälzer selten. Man sollte es mit der Herkunft der Sprache auch nicht so genau nehmen. Mit der von Menschen im Übrigen auch nicht.