Lektürehinweise zu „Tierliebe und Menschenhass“

Liebe Gemeinde,

nach rund zwei Jahren Vortragsreise kristallisieren sich die Themen heraus, die im Verlauf der anschließenden Diskussionen immer wieder zur Sprache kommen. Zu einigen möchte ich euch ein paar Lektüre- bzw. weiterführende Hinweise geben, da ich gewiss nicht alles, was relevant und interessant ist, in mein Buch „Vier Beine gut, zwei Beine schlecht“ habe aufnehmen können.

Durch ethischen Konsum die Welt – oder das eigene Gewissen – verbessern?

Bei meinem Vortrag über Tierliebe und Menschenhass (in der veganen Tierrechtsbewegung) kommt beinahe zwangsläufig die Frage auf, ob individueller veganer Konsum nicht doch irgendwie besser / moralischer / nachhaltiger / (tier)ausbeutungsfreier sei. Dazu empfehle ich den Text von Kathrin Hartmann über die Unmöglichkeit der Weltrettung im Supermarkt:

„Die sogenannte Konsumentendemokratie, in der nicht mehr der Bürger mit Widerstand und Protest Änderungen in der Politik bewegt, sondern der Konsument seinen Geldschein als Wahlzettel begreifen soll, entspricht der neoliberalen Ideologie von Alternativlosigkeit und Eigenverantwortung. Es klingt, als hätten wir durch unsere Wahl Macht – tatsächlich zementiert es das Gefühl der Hilflosigkeit. Und es schickt die Menschen in einen moralischen Wettbewerb: die ‚guten‘ gegen die ‚bösen‘ Konsument*innen. Als Letztere gelten oft jene, die gar nicht die finanziellen Mittel für Konsum, geschweige denn ethischen, haben. Doch die niedrigen Lebensmittel- und Konsumgüterpreise, auf die Arme und Geringverdiener*innen angewiesen sind, sind politisch erwünscht. Sie ermöglichen es, die Löhne möglichst gering und den Konsum hoch zu halten. (…)

[E]s gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem. Der Kapitalismus lässt sich nicht mit seinen eigenen Waffen schlagen. Er inkorporiert alles, auch Protest und Kritik. Er macht sie zur Ware, konsumierbar, und stärkt sich damit selbst.“

Dem Thema widmet sich ebenfalls Jörg Bergstedt, dessen kleiner 52-seitiger Reader „Konsumkritik-Kritik“ trotz schlechtem Lektorat einen verständlichen Überblick über die Fallstricke ethischen Konsums bietet und ein paar Möglichkeiten auflistet, zumindest teilweise aus der Konsumfalle herauszukommen (Stichworte: Konsumverweigerung statt Konsumkritik, solidarische Landwirtschaft, Containern). Der Zwang zum Profit, die Vereinnahmung alternativer, grüner, antikapitalistischer Projekte durch den Kapitalismus und die Frage „Wem gehören die Produktionsmittel?“ bilden den roten Faden. Seine Parole lautet „Wir wollen keinen anderen Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei!“

Auch in der Zeitschrift „Tierbefreiung“ findet sich ein bedenkenswerter Artikel von Maria Schulze über „Veganismus als Teil des Problems“ (S. 18-23). Darin untersucht die Autorin „Konsumwahn und Umweltzerstörung innerhalb der globalisierten industrialisierten Zivilisation und mögliche Alternativen“.

Und der Artikel Über die vegane Weltrettungskackscheiße auf „consume. be silent. die“ ist ein wütendes Plädoyer gegen die unangebrachte moralische Überheblichkeit so einiger Veganer*innen. Lesen, Nachdenken, Selbstreflexion.

Und wie vegan bist du???

Vor, während oder nach jeder, wirklich jeder meiner Veranstaltungen wurde direkt oder indirekt die Frage an mich herangetragen, wie es denn um meinen eigenen Veganismus, mein Weltrettungsbewusstsein, meinen tierrechtlerischen Aktivismus bestellt sei. Die Beantwortung der Gegenfrage, warum das so immens wichtig ist, ist zielführender.

In der zur Weltanschauung gewordenen Ernährungs- respektive Lebensweise steckt offenbar sehr viel Identität. Dies fällt in Diskussionen um das Thema regelmäßig auf und macht sie oftmals hinfällig, da die Kritik an der Lebensweise als persönliche Kritik an der sie lebenden Person aufgefasst und abgewehrt wird. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist kaum möglich und wird häufig mit dem Bezug auf die fehlende Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe abgeblockt. Und vegan genug für eine erlaubte Kritik kann man in den Augen vieler anscheinend gar nicht sein. Das wird dann etwa daran festgemacht, ob man ein Haustier hat (Katze! Wie ernährst du die? Mit Fleisch??? Geht gar nicht!), ob die Sexualpartner*innen ebenfalls vegan gelabelt sind (Wenn nicht: Woah, du verrätst die veganen Werte!) und mündet in Unterstellungen, wer den Veganismus kritisiert, täte dies wohl allein aus dem Grund, sein*ihr Steak bis aufs Blut verteidigen zu wollen.

Um die Problematik des veganen Selbstbilds geht es ausführlicher im 2. Kapitel meines Buchs. Dort beschäftige ich mich auch mit der Frage, ob man Veganismus als Religion ohne göttliche Entität fassen kann.

Zur Kritik von Identitätskonzepten empfehle ich den von Koschka Linkerhand herausgegebenen Sammelband Feministisch streitenVergleichbares gibt es zum Veganismus nicht, doch 1. halte ich dieses Buch für eine gelungene Sammlung kritischer Stimmen des materialistischen Feminismus und 2. lässt sich das Prinzip der In- and Out-Groups hier anhand mehrerer Beiträge gut nachvollziehen.

– wird fortgesetzt –