CN: Vergewaltigung, Kindesmissbrauch
Die US-amerikanische Familientherapeutin Virginia Satir entwickelte in den sechziger Jahren die Familienkonstruktion, später bekannter als Familienaufstellung, als psychotherapeutische Methode. Dabei werden Familienkonstellationen mit Figuren oder menschlichen Stellevertretern dargestellt. Bei der zweiten Variante kann es zu Interaktionen kommen. Die Aufstellung dient dazu, Beziehungen zu verdeutlichen und kann im weiteren Therapieverlauf herangezogen werden, um Veränderungen und Entwicklungen der Patientin sichtbar zu machen.[1]
Der ehemalige Missionar und rechte Esoteriker Bert Hellinger (Jahrgang 1925) erweiterte diese seriöse Methode und mischt ihr sein reaktionäres Familienbild bei, indem er behauptet, es gäbe eine universelle, starre Grundordnung sowie ein „wissendes Feld“, das die Aufgestellten irgendwie mit den von ihnen repräsentierten Familienmitgliedern, auch mit toten, verbinden würde, und das ihm eingebe, wer wo zu stehen hätte.
Hellinger geht so weit, dass Opfer sich vor ihren Vergewaltigern verbeugen und den „lösenden Satz“ nachsprechen sollen: „Papa, für die Mama tue ich es gerne“[2], denn Hellinger unterstellt, dass die Mutter sich dem Mann sexuell entzogen hätte, ihm also sein ureigenstes männliches Recht, jederzeit sexuell über die Frau zu verfügen, einfach verweigert hat, und ihm als Stellvertreterin die Tochter übergeben hätte. Zudem behauptet er, dass „für viele Kinder … das Erleben auch lustvoll“ sei. [3] Kinder, die ein zerrüttetes Verhältnis zu ihrem Vater haben, müssen niederknien und zu ihm sagen: „Lieber Papi, ich gebe dir die Ehre.“ Hellingers Machwerk Ordnungen der Liebe, in dem er diese Täterschutz-Therapie entwickelt hat, erschien 1994, liegt heute in unveränderter zehnter Auflage vor und ist beim Internetbuchhändler Amazon unter den 25 Bestsellern im Bereich Familientherapie gelistet.
Krebskranken Frauen reden Hellinger und seine Schüler ein, sie hätten die Krankheit selbst verschuldet, da sie sich einem Mann gegenüber ungerecht verhalten haben müssen und die Erkrankung nun das Ergebnis ihres Verhaltens wäre. Hellinger ist in der Aufstellerszene inzwischen nicht mehr wohlgelitten. Allerdings nicht wegen seiner menschenverachtenden Therapie, sondern weil es seinen Kolleginnen dann doch mulmig wurde, als er eine Lobpreisung Adolf Hitlers veröffentlichte.[4] Hellinger praktiziert dennoch munter weiter und reist um die Welt, um in Wochenendworkshops neue Therapeuten auszubilden. Im Juli 2017 war er, wie man in einem Bilderzusammenschnitt auf dem Youtube-Kanal des Ehepaars Hellinger betrachten kann, in Peking zu Gast und hat dort einige Hundert Chinesinnen als Aufstellerinnen rekrutiert.[5]
Nun mag jemand zur Verteidigung der Esoterik einwenden, dass in ihr „das weibliche Prinzip“ so eine große Rolle spielt und positiv konnotiert ist. Das bedeutet jedoch lediglich die Festigung alter Rollenbilder mittels einer mystifizierenden Überhöhung des Weiblichen: die Frau als Mutter und Gebende, als eng mit der Natur verbundene Heilerin und als Gefäß – für was und wen auch immer. Hellingers Familienaufstellungen sehen immer gleich aus: Zuerst kommt der Mann, der Vater, dann die Frau, danach die Kinder in der Reihenfolge ihres Alters. In einem Interview formuliert er sein patriarchales Familienbild ganz deutlich: „Wenn der Mann der Frau folgt, hat das immer schlimme Auswirkungen. Die Frau folgt dem Mann, und der Mann dient dem Weiblichen, und das Weibliche ist mehr als die Frau.“[6]
Ohne ein weiteres Grundprinzip, das der Dualität (männlich – weiblich, gut – böse, Licht – Schatten usw.), geht nichts in der Esoterik. Das Weibliche wird zwar überhöht, aber in sehr enge Grenzen gepresst, mit festen Zuschreibungen. Von Wert ist auch nicht die einzelne Frau, sondern lediglich die weibliche Wesenhaftigkeit, die ihr zugeschrieben und übergestülpt wird.
Mit dem Rassebegriff hantiert der Aufsteller ganz unbeeindruckt herum: „Zum Beispiel gehören wir durch (unsere Eltern) zu einer bestimmten Rasse, einer bestimmten Kultur, einer bestimmten Religion, einer bestimmten Sprache. Wir können daher das Leben nur haben innerhalb dieses besonderen Rahmens.“[7] Das ist kein besonderer, sondern ein durch völkisches Denken eng begrenzter Rahmen, in dem das Heil liegt: „Wir wollen und müssen unbedingt zu dieser Familie gehören und zu diesem Volk, zu dieser Rasse, zu dieser Sprache.“[8] Hellinger „zitiert“ anschließend noch einen namenlosen Rabbi, der gesagt haben soll: „Es wird keinen Frieden geben für die Juden, bevor nicht auch der letzte von ihnen für Hitler das Totengebet gesprochen hat.“[9] Und schließlich wendet er die bei Nazis beliebte Umkehrformel an und behauptet, antifaschistische Demonstranten seien mindestens genauso schlimm wie die Faschisten, die sie bekämpfen. Die Deutschen müssten ihren Nazis vergeben und die Täter „aufnehmen wie Brüder“[10].
Bert Hellinger steht exemplarisch für das, was Esoterik ausmacht: die mythische Begründung und Zementierung familialer und damit gesellschaftlicher Verhältnisse statt deren Überwindung und Befreiung von ihnen, Rationalitätsfeindlichkeit und Unterstützung antisozialen und antidemokratischen Gedankenguts, Egoismus und Sicherung des eigenen Fortkommens statt Solidarität mit den schwächeren Mitgliedern der Gesellschaft, ein reaktionäres Menschenbild und ein hierarchisches Familienverhältnis, in dem der Mann tonangebend ist und die Frau sich unterzuordnen hat, eingebettet in rassistische und antisemitische Welterklärungen mit starker völkischer Note und einer Anbindung an Faschismus. Der Hitler-Versteher Hellinger ist kein Einzelfall.
[1] Vgl. Heike Dierbach: Die Seelenpfuscher. Pseudo-Therapien, die krank machen. Reinbek bei Hamburg 2009, S. 59-91.
[2] Bert Hellinger: Ordnungen der Liebe. Ein Kursbuch, 11. Aufl. Heidelberg 2015, S. 190.
[3] Ebd., S. 191.
[4] „Manche betrachten dich als einen Unmenschen, als ob es je jemanden gegeben hätte, den man so nennen darf. Ich schaue auf dich als einen Menschen wie mich: mit Vater und Mutter und einem besonderen Schicksal. (…) Wenn ich dich achte, achte ich auch mich. Wenn ich dich verabscheue, verabscheue ich auch mich.“ So zu lesen in Bert Hellinger: Gottesgedanken. Ihre Wurzeln und ihre Wirkung. München 2004, S. 247.
[5] Bert und Sophie Hellinger: „Ausbildungskurs zum Hellinger-Familiensteller in China“. 7.7.2014, Stand: 27.11.2018.
[6] Interview mit Bert Hellinger. In: „Süddeutsche Zeitung Magazin“, 21.11.1997, S. 64, zitiert nach: Claudia Barth: Über alles in der Welt. Esoterik und Leitkultur. Eine Einführung in die Kritik irrationaler Welterklärungen, 2. Aufl. Aschaffenburg 2006, S. 133.
[7] Bert Hellinger: „Helfen und Liebe. Über Konflikt und Versöhnung“.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] Ebd.