Der tranchierte Mann

Hundert Jahre vor Judith Butler führte Hedwig Dohm die Geschlechterstereotypen ad absurdum. Eine Neuedition erinnert an die vergessene Frauenbewegte.

Ihr Schwiegerenkelsohn nannte sie nur »Little Grandma«, in ihren »großen grauen Augen« meinte er eine »grundsätzliche Animosität gegen Schwiegersöhne« zu erkennen. »Grandma« Hedwig Dohm nahm diese Worte gelassen, auch wenn sie von niemand anderem als Thomas Mann stammten – wußte sie doch, daß er es als Mann nicht besser wissen konnte und nun mal ein »verdammter alter Antifeminist und Strindbergianer« war. Überhaupt nahm sie den gefeierten Autor der Buddenbrooks nicht ganz ernst und begegnete ihm mit ihrer typischen Ironie. Eine grundsätzliche Animosität gegen Schwiegersöhne hatte die Kämpferin für die Rechte der Frauen sicher nicht – nur gegen solche, die sich ausdrücklich Jungen als Nachwuchs wünschten, da mit Mädchen ja nichts Ernsthaftes anzufangen sei.

Hundert Jahre vor Judith Butler führte Hedwig Dohm (1831 – 1919) die Geschlechterstereotype männlich/weiblich ad absurdum; gut fünfzig Jahre vor Simone de Beauvoir schrieb Dohm in zahlreichen Aufsätzen intelligent und mit Witz gegen die patriarchalische Gesellschaft und ihr Ungleichheitssystem an. Ihrer Zeit war sie in vielem voraus – bereits 1874 forderte sie das Frauenwahlrecht, lange vor ihren späteren Mitstreiterinnen, denen sie ohnehin zu radikal war. Gebildet durch Selbststudium und mit einem kritischen Blick für die Mißstände der Gesellschaft, in der sie lebte, legte sie in ihren Arbeiten die fadenscheinigen biologistischen Begründungen von Universitätsprofessoren und Wissenschaftlern offen, die in der »Natur der Frau« das Totschlagargument zur Legitimation ihrer Unterdrückung sahen. Dohms bekannter Ausruf »Die Menschenrechte haben kein Geschlecht« ist symptomatisch für eine Zeit, in der man ernsthaft darüber debattierte, ob die Frau denn überhaupt Mensch sei. Wenn Prominente wie Eva Herman heute die Rückkehr der Frau in ihre althergebrachte Rolle fordern, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Nicht weil, wie Herman findet, damals alles besser war, sondern weil es damals Frauen gab, die sich nicht mit den drei Ks als Lebensinhalt zufriedengeben wollten und das auch öffentlich kundtaten.

Die lange vergriffenen Schriften Hedwig Dohms werden jetzt in einer kommentierten Werkausgabe endlich wieder zugänglich. Dabei steht ihr literarisches Schaffen ebenbürtig neben dem essayistischen. Kritikerinnen und Kritiker haben der Frauenbewegten immer wieder vorgeworfen, ihre Romanheldinnen seien ja gar keine »Neuen Frauen«, sondern in den Strukturen des alten Systems gefangen, das doch bekämpft und reformiert werden solle. Dabei übersahen sie, daß die Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts keinen Raum für Dohms Ideal der Neuen Frau bot. Ihre Heldinnen sind »Übergangsgeschöpfe«: Sie entsprechen nicht dem überkommenen bürgerlichen Ideal der Hausfrau und Mutter, die schweigt und erträgt und ihr Existenzrecht allein aus der Versorgung von Ehemann und Familie ableitet, aber auch noch nicht ebenjener Neuen Frau, weil sie zu sehr in ihrer Sozialisation gefangen sind, als daß sie (erfolgreich) aus ihr ausbrechen könnten. Diejenigen, die es versuchen, scheitern in Dohms Romanen, verlieren sich gar in Wahnsinn und Tod, aber auch beruflicher Erfolg, hart genug erkämpft, bedeutet ein Dilemma auf dem Weg zur Neuen Frau: Die Männer sind noch nicht reif für sie und schrecken vor dem Selbstbewußtsein einer promovierten Ärztin zurück. (In ihrer Polemik »Die Antifeministen« zitiert Dohm einen dieser Unbelehrbaren: »Er würde sich nie mit einer Ärztin verheiraten, aus Angst, sie könnte eines Tages seinen Gänsebraten mit einem Skalpell tranchieren.« Dohms Kommentar: »Ulkig. Ich riet ihm, Vegetarier zu werden.«) Damit ist ein realistisches Bild der Möglichkeiten und vor allem der Unmöglichkeiten damaliger weiblicher Selbstentfaltung und -darstellung gezeichnet, alles andere wäre Science-fiction gewesen. Während es in den Romanen und Erzählungen Frauen des Großbürgertums sind, die im Mittelpunkt stehen und deren Probleme in und mit der väterlichen Gesellschaft porträtiert werden, nahm Dohm in ihren Essays auch die oft verzweifelte Lage der Arbeiterinnen in den Blick und kritisierte scharf die Doppelmoral der Männer, die es völlig in Ordnung fanden, eine Köchin und ein Dienstmädchen für sich schuften zu lassen, wohingegen eine Berufsausübung für ihre bürgerlichen Gattinnen gegen die Natur sei.

Dohms Briefe legen ein weiteres Zeugnis ab für ihre Wortgewandtheit, ihre Ironie, die bisweilen in Selbstironie umschlagen konnte, und last not least: für ihre Geschäftstüchtigkeit als Autorin. Immerhin hundert Briefe konnten die findigen Dohm-Expertinnen Nikola Müller und Isabel Rohner aus Archiven und von Dachböden zusammentragen, die Mehrzahl davon bisher unveröffentlicht. Die Grenzen zwischen Privat- und Geschäftskorrespondenz sind häufig fließend, viele der Briefe sind literarische Kleinode. Daneben zeigen sie uns eine äußerst hartnäckige Autorin, die mit »mummelgreisenhafter Dickfelligkeit« (Dohm über Dohm) die Redaktionen so lange anschrieb, bis ihre Texte veröffentlicht wurden. Half dies nichts, griff sie auf einen Agenten zurück oder behalf sich mit einem Pseudonym. Auch liefern die Briefe Anhaltspunkte für Dohms weitverzweigtes Freundschaftsnetz: Emsigen Briefwechsel pflegte sie etwa mit Maximilian Harden, dem sie, als er im Gefängnis saß, Mut zusprach und in dessen Zeitschrift »Die Zukunft« sie viele Artikel unterbringen konnte; ebenso erschienen dort von ihr selbst verfaßte Ankündigungen ihrer generationenübergreifenden Romantrilogie Sibilla Dalmar. Sie stand in Kontakt mit Künstlerinnen und Künstlern und Vertreterinnen der Frauenbewegung. Ihre Briefe an Marie Baum zeugen von regem Interesse am Leben der jungen Chemikerin und späteren Sozialpolitikerin, die sich eine berufliche Existenz zu erkämpfen und in einer Männerdomäne zu behaupten wußte.

Hedwig Dohm hat es ebenfalls geschafft, sich einen Platz in einer patriarchalischen Gesellschaft zu erobern; dabei hatte sie es nicht nötig, die Verhaltensweisen der Herren zu imitieren – auch wenn sie sich manches Mal nicht sehr »fraulich« gebärdete.

In der Edition Hedwig Dohm des Trafo-Verlags Berlin sind bisher erschienen:
Ausgewählte Texte. Ein Lesebuch zum Jubiläum ihres 175. Geburtstages mit Essays und Feuilletons, Novellen und Dialogen, Aphorismen und Briefen. Herausgegeben von Nikola Müller und Isabel Rohner (2006)
Sibilla Dalmar (2006)
Schicksale einer Seele (2007)
Christa Ruland (2008)
Briefe aus dem Krähwinkel (2009)

zuerst veröffentlicht in »konkret« 1/2010

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