»Eine Ehefrau ist eine Frau, die einem Mann gehört«

Charlotte Perkins Gilman: Herland. Rowohlt, Reinbek 1980, 190 Seiten (antiquarisch erhältlich)

Vom Vater Frederic Beecher Perkins für eine neue Familie verlassen, vom ersten Ehemann Charles Walter Stetson wegen ihrer schriftstellerischen Ambitionen in Psychiatrie und Isolation abgeschoben, vom zweiten Ehemann George Houghton Gilman schließlich respektiert und als ebenbürtiges menschliches Wesen behandelt: Das ist die Geschichte von Charlotte Anna Perkins (Stetson) Gilman (1860 – 1935). Sie kam mit ihrem wissenschaftlichen Hauptwerk Frauen und Arbeit zu internationalem Rang und Namen. Aber was heißt schon Name? Die Autorin wies darauf hin, daß der Nachname einer Frau dazu dient, sie über den Mann, von dem sie abhängig ist, zu definieren und als sein Eigentum zu kennzeichnen. Charlotte – so wollen wir sie nennen, denn es ist ihr einziger eigener Name – hat sich in ihren Schriften mit den vielfältigen Formen von Domestizierung der Frau durch den Mann beschäftigt.

In ihrer humanistisch-sozialistischen Utopie Herland entwirft sie 1915 ein entlegenes Land frei von Haß, Krieg, Neid, Machtstreben und Konkurrenzkampf. Es ist ein Land ohne Männer. Drei ungestüme amerikanische Forschungsreisende machen sich auf, es zu erobern. Schnell finden sie sich jedoch in der Defensive wieder und müssen erkennen: 1.) Es gibt dort tatsächlich keine Männer (sie leugnen diese Tatsache sehr lange, weil eine funktionierende Gesellschaft ohne Beschützer und Versorger in ihrer Vorstellungswelt nicht existieren kann). 2.) Ihre eigene Welt, das Amerika des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, kann gegen diese Idylle nur verlieren. (Und wenn die Herren Leser jetzt evolutionäre Einwände erheben: Charlotte hat das Problem der Fortpflanzung durch spontane genetische Mutation gelöst, so daß sich die Frauen durch Parthenogenese, also ohne Befruchtung der Eizelle, fortpflanzen können.)

Charlotte enttarnt in Herland die sogenannten männlichen und weiblichen Eigenschaften und Tätigkeitsbereiche als Unterdrückungsmittel zur Aufrechterhaltung der »androzentrischen Kultur«. (Hätten Sie’s gewußt? Den Terminus Androzentrismus hat Charlotte erfunden.) Frauen werde eine Lebensform aufgezwungen, die alles andere als »natürlich« sei: unpraktische, einschnürende Kleidung, aufwendig zu pflegendes Kopfhaar. Die Frauen von Herland tragen eine Art Pluderhosen, leichte Laufschuhe und Kurzhaarfrisuren.

Auch das Verhältnis zu den Tieren analysiert Charlotte als ein einseitiges, nicht adäquates: Der Hund an der Leine sei ebenso abzulehnen wie der Diebstahl der Muttermilch von Kühen. Charlotte formuliert damit vor seiner Erfindung zentrale Thesen des (radikalen) ethischen Veganismus. In Herland wird weder Mensch noch Tier ausgebeutet oder unterdrückt. Die Frauen dort haben übrigens keine Nachnamen und geben auch keinen Teil ihres Namens an ihre Töchter weiter. Jede von ihnen trägt einen einzigartigen Vornamen, der mit ihrem Einsatz für die Schwesternschaft wächst (zum Beispiel wird aus Mera, der Denkerin, Dumera, die weise Denkerin, und schließlich Odumera: die große und weise Denkerin).

In den USA stehen Charlotte und ihr Werk auf dem Lehrplan der Schulen, stetig wächst die Fachliteratur. In Deutschland entdeckte die zweite Frauenbewegung ihre Schriften und deren Aktualität, was dazu führte, daß wenigstens einige von Charlottes Texten auf Deutsch (heute meist nur noch antiquarisch) vorliegen. Eine gerade erschienene Anthologie über Heldinnen des Glücks (Edition Nautilus) enthält in neuer, genauerer Übersetzung ihre Erzählung »Die gelbe Tapete«. Der Untertitel des Sammelbands charakterisiert sie zu Recht als »Geschichte vom Aufbruch«. So könnte man Charlottes belletristisches Gesamtwerk auch unter das an alle Frauen gerichtete Motto ihrer Mitstreiterin Hedwig Dohm stellen: »Werde, die du bist!«

zuerst als Folge 24 der Serie »erfolgreich und vergessen« veröffentlicht in »konkret« 10/2010

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