Marx für Kinder

Cover "Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut"

Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt: Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut (Insel-Verlag, Berlin 2024, 268 Seiten, 18,– €, ab 10 Jahren)

Ins (Kinder-)Bücherregal gehört neben Kommunismus für Kinder von Bini Adamczak ab sofort auch Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut von Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt.

Die beiden Podcaster erklären in „Wohlstand für alle“ (WfA) allwöchentlich und mit Karl Marx & Co. im Hintergrund, wie der Kapitalismus die Menschen beherrscht und zeigen, dass „Wirtschaft“ nicht langweilig sein muss, sondern äußerst erkenntnisreich präsentiert werden kann. Charmant, belesen und mit einem selten gewordenen und daher umso erfreulicheren Esprit gehen Ole und Wolfgang bei Cocktails und Coca-Cola light in der „Speakeasy-Bar“ einmal monatlich zusätzlich klugen Publikumsfragen auf den Grund. Nicht nur für Literaturwissenschaftlerinnen interessant ist das zweite Spezialformat „WfA-Literatur“, in dem sie aktuelle Bestseller und Klassiker unter dem Gesichtspunkt der Ökonomie betrachten.

„Holzsammeln ab sofort verboten! Holzdiebe werden hart bestraft. Dieser Waldabschnitt ist verkauft!“

Nach seinem ersten gemeinsamen Buch über Influencerinnen legt das Duo nun ein Kinderbuch vor. Darin schicken sie Rosa und Karl, zwei zehnjährige Geschwister, durch den Wald von Feudalia und bis auf die benachbarte Insel Capitalia und zurück. Wer „Wohlstand für alle“ aufmerksam verfolgt hat, erinnert sich an die Folge 107, in der es um die sogenannte ursprüngliche Akkumulation bei Marx geht.

„Eigentlich gehörte der Wald keinem und damit auch irgendwie allen – bis vorgestern.“

Diese gewaltvolle Geschichte, wie die Feudalherren (und einige Feudalfrauen) zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert beginnen ein neues Abhängigkeitssystem zu installieren, das schließlich das Feudalwesen und die Leibeigenschaft des Mittelalters ablöste, erzählen die Autoren in Die kleinen Holzdiebe als kindgerechtes Abenteuer. Einige Anspielungen werden allerdings nur ältere Leserinnen durchschauen. So tritt der „alte Karl“ zwar zunächst als Fischer auf, erklärt jedoch, dass er „versuch[t], nicht den ganzen Tag ein Fischer zu sein“, und in der übrigen Zeit denkt er „über die Menschen, die Gesellschaft, den Fortschritt, die Arbeit und das Leben“ nach. Marx/Engels-Kennerinnen werden sich an diese prägnante Stelle aus der Deutschen Ideologie erinnern, die in knappen Worten skizziert, wie der Mensch verfasst sein könnte, wäre er nicht in Lohnabhängigkeit und entfremdeter Arbeit gefangen.

„Es müsste ein Spiel geben, bei dem alle gewinnen können.“

Rosa und der junge Karl decken im Verlauf der Handlung immer mehr Widersprüche, Lügen und Gemeinheiten des Kapitals und seiner Vertreterinnen auf. Dass letztere austauschbar sind und eben auch „nur“ ihre Rolle spielen (müssen), machen die Autoren dabei besonders deutlich. Sehr hübsch illustriert dies eine Stelle, in der eine der „besseren“ Familien, die von der Arbeit anderer sehr gut zu leben weiß, „ziellos über die Straßen schlender[t]“. Ihr größtes Problem: die Entscheidung, ob man „erst Kaffee oder teure Törtchen kaufen sollte[…]“ – während die verzweifelten ehemaligen Bauern auf ihrer erfolglosen Arbeitssuche als Rumtreiber abgestempelt von der Polizei ins Arbeitshaus verfrachtet werden. Denn faule Rumtreiberei, die gibt es nur bei den Armen, wie es damals schon und heute immer noch heißt.

„Die Fabrik selbst gab nun den Rhythmus vor“

Schuften für den Mehrwert - Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Verlags / (c) Nick-Martin Sternitzke

Bild aus dem Buch Die kleinen Holzdiebe: Schuften für den Mehrwert
Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Verlags / Illustration: Nick-Martin Sternitzke

Die Beschreibung der unmenschlichen Fabrikarbeit erinnert an Szenen aus Upton Sinclairs Der Dschungel oder Émile Zolas Germinal, wenngleich die Torturen dort wesentlich drastischer geschildert sind als man das in einem Kinderbuch vornehmen wollte. Deutlich wird aber auch in den Kleinen Holzdieben: Die Fabrik macht alles grau, dumpf und stumpf, sie ist heiß, stickig und „unerhört laut[…]“ und tötet das Menschliche, die Empathie in kurzer Zeit nahezu vollständig ab.

„Nichts ist fürchterlicher, als alle Tage von morgens bis abends etwas tun zu müssen, was einem widerstrebt.“

Diese Geschichte endet mit einem leisen Hoffnungsschimmer. Was der alte Karl dazu wohl sagen würde? Vielleicht so etwas wie: „Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“

Kontrastreich illustriert ist das Ganze von Nick-Martin Sternitzke. Und ein Chapeau an den Verlag, dessen Korrektorat nur einen einzigen Rechtschreibfehler übersehen hat („Also viel die Ernte in diesem Sommer aus“, S. 69). Vor dem Druck einer zweiten Auflage dürfte dieser Schnitzer leicht zu beheben sein.

(Alle kursiv gesetzten Zitate stammen aus Die kleinen Holzdiebe.)

Von der Tütenprinzessin zur Prinzessin in der Tüte

Hier kommt ein Schatz aus meiner Kindheit.

Bild: Lappan
Bild: Lappan

Robert Munsch, Helge Nyncke: Die Tütenprinzessin (Lappan, Oldenburg 1987, 32 Seiten, antiquarisch, ab 4 Jahren)

Die Tütenprinzessin – das ist Elisabeth, eine „entzückende Prinzessin“, die, wie es sich gehört, in einem schönen großen Schloss wohnt und alsbald einen Prinzen, den Ronald, zu heiraten gedenkt. Aber es kommt dann alles anders: Ein furchterregender Drache brennt das Schloss nieder und entführt den Prinzen.

Weiterlesen „Von der Tütenprinzessin zur Prinzessin in der Tüte“

Miteinander statt gegeneinander

Bild: Katja Kaminski/ Anita Zinauer
Bild: Katja Kaminski/ Anita Zinauer

Katja Kaminski: Die Kunst des Miteinanders (Books on Demand, Norderstedt 2016, 96 Seiten, € 9,90, ab 5 Jahren)

Die Veröffentlichung eigener Gedanken in Buchform über Self-Publishing-Plattformen wird immer beliebter und jede und jeder kann sich so als Autorin bzw. Autor fühlen, ohne mühselig einen Verlag von der Qualität der eigenen Arbeit überzeugen zu müssen. Dass dabei noch mehr Schund produziert wird, als ohnehin schon in Buchhandlungen ausliegt und auf Bestsellerlisten steht, liegt auf der Hand. Ganz so arg verhält es sich mit dem neuesten Buch der Menschen- und Tierrechtsaktivistin Katja Kaminski nicht, Weiterlesen „Miteinander statt gegeneinander“

Bücher für wilde Kinder

Bild: Fischer Sauerländer
Bild: Fischer Sauerländer

Emily Hughes: Wild (Fischer Sauerländer, Frankfurt am Main 2015, 40 Seiten, € 14,99, ab 4 Jahren)

Das Buch beginnt mit dem Satz: „Niemand erinnerte sich, wie sie in den Wald gekommen war, aber alle wussten: Es war gut, dass sie da war.“ Sie, das ist ein kleines Menschenkind, das fortan mit den Tieren im Wald das Leben und die Welt kennenlernt. Sprechen lernt sie von den Vögeln („Kaaaa Kraaa Kaaa!“), Weiterlesen „Bücher für wilde Kinder“

Prinzessin sein ist doof

Bild: Oetinger
Bild: Oetinger

Cornelia Funke: Prinzessin Isabella. Illustriert von Kerstin Meyer (Oetinger, Hamburg 2007, 32 Seiten, € 12,-, ab 4 Jahren)

Alte Könige, verwunschene Prinzen, niedliche Prinzessinnen, böse Hexen – wer kennt sie nicht, die typischen Märchenfiguren. Und das Typische ist leider auch das Fatale an solchen Figuren, die heute wieder en masse reproduziert werden. Die Prinzessinnen des 21. Jahrhunderts leben in einer rosaroten Glitzerwelt, in der Schönheitswettbewerbe für Pferde ausgetragen und Kostümpartys veranstaltet werden und das einzige Abenteuer darin besteht, süße Einhörner zu retten. Die gesamte Aufmachung der Bücher schreit: Nur für Mädchen! Weiterlesen „Prinzessin sein ist doof“

Die etwas anderen Piratenabenteuer mit Käpten Knitterbart und seiner Bande

Bild: Oetinger
Bild: Oetinger

Cornelia Funke: Käpten Knitterbart auf der Schatzinsel. Illustriert von Kerstin Meyer (Oetinger, Hamburg 2006, 32 Seiten, € 12,-, ab 4 Jahren)

Cornelia Funke: Käpten Knitterbart und seine Bande. Illustriert von Kerstin Meyer (Oetinger, Hamburg 2003, 32 Seiten, € 12,-, ab 4 Jahren)

Cornelia Funke: Klar zum Entern (Oetinger Media, Hamburg 2008, 1 DVD, 40 Minuten, ohne Altersbeschränkung freigegeben)

Es ist mal wieder Zeit für Kinderbücher… Offenbar versammeln sich beim Verlag Oetinger auffällig viele gute Autor*innen, jedenfalls ist der verhältnismäßig häufig in meiner Literaturliste vertreten und ich bin wie bereits erwähnt eine recht kritische Kinderbuchleserin. Ebenfalls bei diesem Verlag erschienen sind die großartigen Bilder- und Vorlesebücher von Cornelia Funke. Wenn ihr wollt, dass eure Kinder zu eigenständigen, emanzipierten Menschen heranwachsen, schenkt ihnen die Bücher von Frau Funke! Weiterlesen „Die etwas anderen Piratenabenteuer mit Käpten Knitterbart und seiner Bande“