„Hühner-KZs“ und das „Auschwitz der Tiere“ – Die Frage nach der Legitimität des Holocaust-Vergleichs

Ist die heutige Praxis der Tierhaltung und -ausbeutung mit den Konzentrationslagern der Nazis vergleichbar und „darf“ man diesen Vergleich ziehen?

Wenn man den Holocaust an den europäischen Juden dem heute weltweit stattfindenden Schlachten von sogenannten Nutztieren gegenüberstellt, spielen – wenn auch unausgesprochen – immer die Opfer- und Todeszahlen in den vermeintlichen Vergleich mit hinein, was zwangsläufig zu einer Relativierung des Holocaust und seiner Opfer führt. Man muss nicht ein massenhaftes Verbrechen mit einem anderen vergleichen, um die Brutalität und Illegitimität des einen zu untermauern. Dafür ist die Tatsache des massenhaften Verbrechens allein vollkommen ausreichend.

Hinzu kommt, dass viele Juden sich von solch einem Vergleich in ihrer Menschenwürde und ihren Persönlichkeitsrechten angegriffen fühlen und ihn daher ablehnen. Es spielt keine Rolle, ob ich dem zustimme oder nicht, hier geht es erstens nicht um meine Einschätzung, und zweitens ist dieser Wunsch ernst zu nehmen und zu respektieren. Wie kann man Respekt vor den Tieren und ihren Bedürfnissen und Empfindungen einfordern, wenn man ihn selbst gegenüber anderen Menschen vermissen lässt?

Ja, es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Holocaust und Tierhaltung (die ich hier bewusst nicht aufzähle), aber es gibt mindestens ebenso viele Unterschiede. Der gravierendste ist die Motivation, die hinter der Ausbeutung und dem Morden steht: Im einen Fall ist sie dogmatisch-ideologisches Staatsziel, im anderen handelt es sich um eine kulturelle Praxis. Die Nazis haben sich keine Juden gezüchtet, um von ihnen zu profitieren. In ihrem Rassestaat ging es um die Auslöschung einer „Rasse“.

Wieso ist es überhaupt so wichtig, dass man KZ- und Holocaust-Vergleiche machen „darf“? Steckt dahinter die Angst, sich von „den Juden“ vorschreiben lassen zu müssen, was man darf und was nicht? Und steckt darin doch mehr vom hässlichen Erbe unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern, als wir wahrhaben wollen? Geht es um Provokation, Aufmerksamkeit? Hauptsache für die Tiere, egal mit welchem Mittel?

Richtig ist – und dies wird fälschlicherweise immer wieder herangezogen, um den eigenen Holocaust-Vergleich zu rechtfertigen –, dass es belegte Aussagen von Menschen gibt, die den Nazi-Terror überlebten (zu nennen sind hier etwa Martin Niemöller, Isaac Bashevis Singer und Edgar Kupfer-Koberwitz), die einen Vergleich zwischen dem Schrecken der Nazi-Herrschaft und der fabrikmäßigen Haltung und Tötung von Tieren beinhalten. Eine der bekanntesten stammt von Theodor W. Adorno, der es in seinen „Minima Moralia“ folgendermaßen formuliert hat:

„Die stets wieder begegnende Aussage, Wilde, Schwarze, Japaner glichen Tieren, etwa Affen, enthält bereits den Schlüssel zum Pogrom. Über dessen Möglichkeit wird entschieden in dem Augenblick, in dem das Auge eines tödlich verwundeten Tieres den Menschen trifft. Der Trotz, mit dem er diesen Blick von sich schiebt – ‚Es ist ja bloß ein Tier‘ – , wiederholt sich unaufhaltsam in den Grausamkeiten an Menschen, in denen die Täter das ’nur ein Tier‘ immer wieder sich bestätigen müssen, weil sie es schon am Tier nie ganz glauben konnten.“

Adornos Gedanken sind fraglos richtig, denn es lässt sich ohne größere Schwierigkeiten belegen, dass Menschen, die anderen Menschen Gewalt antun, dies häufig zuvor an Tieren „erprobt“ haben.

Obige Formulierung schien wohl allerdings nicht griffig genug zu sein, sodass unter Tierrechtlern seit Jahren ein „Zitat“ herumgeistert, das penetrant Adorno zugeschrieben wird, obwohl es nirgendwo belegt werden kann: „Auschwitz beginnt da, wo einer im Schlachthaus steht und denkt, es sind ja nur Tiere.“ Dies ist nur ein Indiz für die Gefahr der Instrumentalisierung und sachlichen Verdrehung, die etwa von der Organisation PETA auf die Spitze getrieben wird: PETA hat 2004 in Deutschland nach einer Klage des Zentralrats der Juden per Gerichtsentscheid ein Verbot der Kampagne „Der Holocaust auf Ihrem Teller“ erhalten. Diese Entscheidung wurde fünf Jahre später vom Bundesverfassungsgericht bestätigt. Bei der Kampagne sollte übrigens unter anderem das angesprochene „Zitat“ Verwendung finden. Neben der nicht vorhandenen Legitimität und Seriosität besteht ein weiteres Problem darin, dass Menschen bei solchen Schreckensbildern lieber wegsehen, anstatt sich mit den Hintergründen auseinanderzusetzen.

Es kann niemals moralisch richtig sein, das eine Leiden gegen ein anderes aufzuwiegen, denn „das Leid aller Opfer ist immer dasselbe“, wie es Prof. Yehuda Bauer, wissenschaftlicher Berater von Yad Vashem, in einem Vortrag formuliert hat.

Häufig wird argumentiert, der Vergleich sei ja keine Gleichsetzung, man ver-gleiche also durchaus Unterschiedliches und sei sich dessen bewusst. Dennoch ist bei diesem hochsensiblen Thema die Gefahr zu groß, dass ein Vergleich als Gleichsetzung interpretiert wird bzw. sogar eine Herabwürdigung der einen Opfer zugunsten der anderen stattfindet, eben allein schon durch das zahlenmäßige Ungleichgewicht. Hinzu kommt erschwerend, dass in Deutschland wie auch Europa immer noch ein starker latenter Antisemitismus festzustellen ist, dessen sämtliche Ausprägungen bekämpft werden müssen. Holocaust-Vergleiche in jedweder Form sind nicht förderlich und grundsätzlich abzulehnen.

© 2016 Mira Landwehr

Warum sich solche Vergleiche verbieten, welche Motivation die Nazis hatten und warum „ganz gewöhnliche Deutsche“ den Genozid an den europäischen Juden vollzogen, mag die Lektüre von Daniel Jonah Goldhagens Buch erhellen.

Bild: Siedler/Randomhouse
Bild: Siedler/Randomhouse

Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust (Siedler, Berlin 1998, 728 Seiten, antiquarisch; diverse weitere Auflagen in anderen zur Verlagsgruppe Randomhous gehörigen Verlagen, zuletzt: Pantheon 2012, € 19,99, Leseprobe)

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